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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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sie auch gestern Abend gesagt, bevor sie ins Bett gegangen war und mich der Nacht überlassen hatte, die ich allmählich besser zu kennen meinte als Nella. Es ist schon merkwürdig, wie das Leben sich gestaltet oder auch nicht. Ich war so naiv zu glauben, die Arbeit an diesem Buch würde mich Nella näherbringen. Lange Zeit hatte ich auch das Gefühl, dass dem so war. Doch während ich gerungen habe, die Geschichte von Simon und dem Turmzimmer zu Papier zu bringen, ist Nella mir fast entschwunden. Ihre ganze Gartenarbeit! In den letzten Tagen habe ich nicht einmal geahnt, was sie gemacht hat und dass sie es sich offenbar erlaubt hat, in meinem Namen zu handeln. Das ist mir zu meinem Schrecken gestern Abend klar geworden.
    »Du hast gerade an Ambrosius gedacht«, sagte sie. »Und Agnes …?«
    Sie wippte von einem Fuß auf den anderen.
    »Morgen hast du Gelegenheit, ihn wiederzusehen, wir fahren nämlich nach Kopenhagen, alles ist schon geplant. Ich habe vor ein paar Tagen an Lillemor geschrieben. Wir gehen bei ihr vorbei und sagen Guten Tag und fragen, ob sie eine Ahnung hat, wie ihre ganzen Kleider auf den Speicher von Liljenholm gekommen sind. Es kann schließlich nicht sein, dass sie möglicherweise etwas weiß, das wir nicht wissen, oder?«
    »WAS machen wir?!«
    »Ja, es ist höchste Zeit, dass ich sie kennenlerne!«, bemerkte Nella auf eine seltsam befehlende Art, die unmittelbar dazu führte, dass ich mich kleiner fühlte, als ich bin. Als sie vor Kurzem das Frühstückstablett auf meinen Schreibtisch gestellt hat, musste ich an Agathe denken. Das lag an dem Kleid. Eins von Lillemors langen Modellen mit Spitzen und einem Band zum Binden unter dem Busen. Ich hatte mir immer vorgestellt, wie meine anmutige Vorgängerin in genau solch einem Kleid durch die Gegend geschwebt sein musste.
    »Nun mach einmal einen Punkt, Agnes«, seufzte Nella, während Simo meine Hand mit der Schnauze anstupste. »Agathe ist vor vierzig Jahren gestorben. Kannst du das Kapitel nicht endlich begraben?«
    In letzter Zeit strahlt Nella auf eine ganz neue Art. Sie ist auch etwas rundlicher geworden. Es besteht jedenfalls kein Zweifel, dass ihr die Gartenarbeit guttut.
    »Kommst du, Agnes?«
    Ich sehe keinen anderen Ausweg, als mit ihr nach Kopenhagen zu fahren und das Wort eine Zeit lang an Nella zu übergeben. Es bleibt nur zu hoffen, dass Sie stärkere Nerven haben als ich.

Das entschwundene Kapitel
    Ich habe mich vor diesem Augenblick zutiefst gefürchtet, und mir ist auch durchaus bewusst, dass ich, Nella, nicht so anfangen sollte. Ich sollte damit anfangen, dass ich mich darauf gefreut habe, diese Worte zu Papier zu bringen. Doch Worte sind mir nie leichtgefallen. Schon gar nicht über Laurits. Aber dennoch werde ich mit ihr anfangen.
    Wenn ich an Laurits denke, denke ich an ihre Schritte, an deren Schwere, wie sie sich jeden Morgen und jeden Abend die Treppen in den östlichen Turm hinauf- und hinuntergeschleppt haben. Und ich denke an noch etwas anderes: an ihre Augen. Sie waren grau, doch hinter dem Grau war ein Leuchten, das ich immer mit ihren Händen in Verbindung gebracht habe. Mit der liebevollen Art, mit der sie mir das Haar aus der Stirn gestrichen und gesagt hat, dass ich ihre kleine Nella sei. Wenn Bella und ich Angst vor den Gespenstern im Turm hatten, konnten wir immer in ihr Zimmer kommen und auf ihrem Bett sitzen. Wir mussten nur ganz still sein, um sie nicht beim Schreiben zu stören. Wenn wir dem Kratzen über das Papier und den sich umblätternden Seiten lauschten, würde alles bald wieder gut sein, oder nicht? Dann gab es nichts mehr, wovor wir uns fürchten mussten.
    Ich sehe nahezu vor mir, wie sich mein Kopf auf und ab bewegte. Hinter dem Haar, dort drinnen, von wo meine Augen herausblickten, war ich in einer Höhle aus Sicherheit, wenn Bella und ich auf Laurits’ Bett saßen. Ihr Rücken war so breit, dass ich mir sicher war, dass er alles tragen konnte, auch Bella und mich, wenn es nötig sein sollte. Ich wusste schließlich nicht, dass Laurits ohnehin schon die ganze Geschichte Liljenholms mit sich herumtrug. Doch nachdem mir das klar geworden war, ist mir ein Gedanke gekommen. Ich dachte mir, dass in Wirklichkeit vielleicht Liljenholms Geschichte sie von innen her leuchten ließ, sodass sie aus dem Grau heraus strahlte. Ich zweifle nicht daran, dass sie für uns alle liebevolle Gefühle hegte, doch letzten Endes glaube ich, dass sie für die Geheimnisse und von den Geheimnissen jeder einzelnen Nacht

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