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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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Laurits drückt das nicht so aus, doch es muss dieses Empfinden gewesen sein, das Mutter mir vor einigen Jahren beschrieben hat. Damals, als sie mir von Antonias Eifersucht erzählt hat, die zu schwer zu ertragen war, und sie in Wirklichkeit wohl von ihrer eigenen gesprochen hat.
    »Ich konnte dieses Zimmer kaum mehr verlassen, ohne dass sie mich mit ihren wahnsinnigen Anklagen überfallen hat«, sagte sie bekanntlich bei der Gelegenheit. Und das Ergebnis war, dass sie sich immer mehr in ihre Geschichten vergrub. »Mittlerweile sitzt sie von morgens bis abends in ihrem Arbeitszimmer. Sie schläft sogar dort«, schrieb Laurits. »Ich sehe sie nur, wenn ich ihr das Essen bringe.« Manchmal sah ich sie auch, wie ich Laurits’ Tagebüchern entnehmen kann, denn es kam vor, dass Lily mich auf ihrem Bett sitzen ließ, wenn ich versprach, still zu sein. »Doch selbst Lily sieht wohl ein, dass Antonia allmählich sowohl für sich selbst als auch für andere eine Gefahr darstellt«, schrieb Laurits. »Sie glaubt tatsächlich, dass Nella das personifizierte Böse ist. Neulich hat sie sogar gesagt, dass die Gespenster ihr befohlen haben, das Mädchen zu töten, wenn sie ›ihr richtiges Kind‹ zurückhaben will. Es liegt mir fern zu dramatisieren, doch meiner Meinung nach ist es inzwischen ein Wunder, dass Nella noch nichts zugestoßen ist.«
    Welche Rolle Simon bei dem Ganzen spielte, fragte Laurits sich auch. Er hatte sich mit seinem Schreibtisch und all seinen Büchern in Horaces altem Büro neben der Küche eingerichtet, in dem ich immer sitze und schreibe. Hin und wieder kam er auch heraus. Doch in der Regel verschanzte er sich hinter den verschlossenen Türen mit seinen Manuskripten oder »seinem wenig imponierenden Klavierspiel«, wie Laurits es nannte. Doch mit der Zeit verbrachte er immer weniger Tage auf Liljenholm, zum Schluss war er nur noch ein einziges Wochenende im Monat hier, und wenn er denn einmal da war, machte er einen handlungsunfähigen Eindruck. »Ein Mann, der nie Schicksalsschläge hat einstecken müssen«, schrieb Laurits, »sonst würde er wissen, dass nicht alleine davon wieder alles gut wird, dass man sich weigert, den Tatsachen in die Augen zu blicken.« Sie fantasierte oft davon, ihm eine schallende Ohrfeige zu geben, damit er endlich aufwachte. »Er scheint offenbar zu glauben, dass das größte Problem das Bild Antonias in der Öffentlichkeit ist«, schrieb sie. »Heute Abend hat er sich Sorgen gemacht, ob sie sich wohl interviewen und feiern lassen kann, wenn Lilys neuer Roman Der Jungfrauenkäfig nächsten Monat erscheint. Ich habe ihm gesagt: ›Begreifen Sie denn nicht, dass Ihre geliebte Frau eine Gefahr für sich selbst darstellt und dass Ihre kleine Tochter in Lebensgefahr schwebt, Herr Simon? Neulich hat Antonia sie ohne erkennbaren Grund mit einem Bügel verhauen. Zum wer weiß wievielten Mal übrigens. Das Mädchen schlafwandelt zu oft und hat bald Ähnlichkeit mit einem Zuchthauskind mit all den Wunden am ganzen Körper. Sie müssen doch einsehen, dass es wirklich schlimm um Antonia steht!‹ Doch er hat sich nur abgewandt. ›Soweit ich weiß, sind Sie nicht die Herrin des Hauses‹, hat er zu mir gesagt. ›Ich bitte Sie, Ihre Arbeit zu tun und nichts anderes, Fräulein. Wenn Sie das nicht können, muss ich Sie bitten, umgehend Ihre Sachen zu packen.‹«
    Laurits hätte ihn liebend gern angefahren, dass sie nie und nimmer Befehle von ihm annahm. »Glauben Sie etwa, ich weiß nicht, dass Ihre kleine Karen längst mehr ist als Ihre Verlagssekretärin? Ja, wer weiß, ob sie das nicht die ganze Zeit gewesen ist. Und da kommen Sie und spielen hier den Herrn im Haus!« Doch stattdessen wiederholte sie, dass Nella in Lebensgefahr sei. Er sah sie nur müde an.
    »Ist sie das wirklich?« Laurits wusste bereits, was er sagen würde. »Meinen Sie nicht, dass Sie diejenige sind, die Gespenster sieht, Fräulein?«

Nellas Geschichte
    Bis jetzt hat alles, was ich erzählt habe, nicht eine einzige Erinnerung in mir wachgerufen. Doch Laurits’ Tagebüchern entnehme ich, dass mehrere Jahre auf diese alles andere als tragbare Weise vergangen sind. Mit der Zeit wurde Antonia von Liljenholms fehlende Präsenz in Zeitschriften, Bildreportagen und bei gesellschaftlichen Anlässen zu einem wirklichen Problem. »Die Leute denken sich ihren Teil, und sie reden auch«, schrieb Laurits. »Sie fragen sich, ob Antonia noch bei Verstand oder vielleicht sogar tot ist, da sie völlig von der Bildfläche

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