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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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versorgen und im Turmzimmer einsperren oder wir können Antonia in eine Anstalt sperren lassen, von wo aus die Gerüchte sicher bald durchsickern werden.«
    Letzteres war Laurits’ Idee. Sie bot sogar an, als Anstandsdame mitzugehen, wie mir klar wurde, als Agnes und ich die Tagebücher lasen. Deshalb musste ich weinen. Der Gedanke schmerzt mich noch immer, dass der wichtigste Mensch meiner Kindheit bereit war, mich als Sechsjährige alleine auf Liljenholm zurückzulassen. Dann kann ich für sie wohl kaum so wichtig gewesen sein wie sie für mich, nicht wahr? Doch wie dem auch sei, Lily rettete mich ein weiteres Mal, denn sie beschloss, dass Antonia und meine Laurits hier auf Liljenholm bleiben sollten. Ich weiß nicht, ob Lily Antonia zu diesem Zeitpunkt so sehr hasste, dass sie sie mit Freude aus dem Selbstmordfenster gestoßen hätte, oder ob sie das nur vor ein paar Jahren so gesagt hat, damit ich die ganze Geschichte von »Lily«, die tödlich eifersüchtig, und von meinem Vater, der Opfer einer verrückten Frau geworden war, glaubte. Doch es steht jedenfalls außer Zweifel, dass Lilys Gefühle für Antonia stark abgekühlt waren.
    »Wenn das Gerücht von Antonias Geisteskrankheit aus der Anstalt heraussickert, bedeutet das, dass Antonia von Liljenholm als Königin der Gespenster erledigt ist, und das kann ich nicht zulassen«, sagte sie. »Ich habe vor, noch sehr viel mehr zu schreiben und bei Hansen & Sohn zu veröffentlichen.«
    Sie blickte Simon direkt an, der wegsah. Er wusste ebenso gut wie Lily, dass er seinen Verlag und seinen aufwendigen Lebensstil mit Fräulein Karen Kvist vergessen konnte, wenn Lily ihre Bücher in einem anderen Verlag herausbrachte. Die einzigen seiner Bücher, die Gewinne einfuhren, waren die von Antonia von Liljenholm, so war es schon seit vielen Jahren.
    »Wenn wir es so machen, wie ich vorgeschlagen habe, bin ich bereit, ein Opfer zu bringen und mich umzubringen«, fuhr Lily fort. Laurits zuckte zusammen, doch Lily tätschelte ihr beruhigend die Hand.
    »Nicht im wortwörtlichen Sinn, sondern in den Augen der Welt, meine Liebe. Erklären wir Lily für tot und Antonia von Liljenholm für wiederauferstanden. Dann werde ich schon dafür sorgen, dass Antonias offizielles Leben wieder in Schwung kommt. Gar nicht erst zu reden vom Verkauf ihrer Bücher.«
    Sie sah Simon so lange an, bis er aufblickte und das Gleiche wie Laurits sah. Lily legte ganz unbeschwert ihr Gesicht in Antonias Falten. Sie musste das jahrelang geübt haben, so schnell wie es ging.
    »Was sagt ihr?«, fragte sie. »Glaubt ihr nicht, dass ich mich sicher auf dem Parkett bewegen kann?«
    »Mir tat Simon fast leid«, schrieb Laurits am selben Abend. »Es ist nicht lustig, vollkommen von einer Frau abhängig zu sein, die auf lange Sicht ihre rechtmäßige Rache will, doch andererseits hat er das wahrlich verdient.« Später hat sie ihre Aussage modifiziert. Und zwar in dem Moment, als Lily verlangte, dass auch er »ein bescheidenes Opfer« entrichten sollte, wie sie es nannte. Jetzt, wo sie eingewilligt habe, im Dienste der guten Sache zu sterben, solle er augenblicklich von Liljenholm verschwinden und niemals den Versuch unternehmen, mit mir Kontakt aufzunehmen. »Das ist völlig unangemessen von Lily, und ich will gar nicht daran denken, wie Nella das erlebt«, schrieb Laurits. »Zuerst verschwindet ihre Mutter ›aus dem Fenster‹, wie Lily sagt, wenn Nella danach fragt. Dann ›ertrinkt‹ ihr Vater ›im See‹, und jetzt verlangt Lily sogar, das Nella sie ›Antonia‹ oder ›Mutter‹ nennt. Wie soll das nur enden?«
    Die Antwort auf die letzte Frage kennen wir bereits. Ich hatte den größten Teil der Zeit das Gefühl, in einem sehr großen, dunklen See herumzuschwimmen. Die Jahre flossen ineinander, und ich hatte keine Ahnung, worüber ich schwamm.
    »Aber wie konntest du deine richtige Mutter vergessen?«, fragt Agnes oft, als hätte mir meine richtige Mutter auch nur den geringsten Grund gegeben, mich an sie zu erinnern. »Wie konntest du nicht zwei und zwei zusammenzählen?«
    Ich weiß nicht, was ich antworten soll, wenn sie mich so fragt. Was soll ich sagen? Dass jede Lüge zweifellos besser war als die Wahrheit? Ich möchte wetten, dass für mich alles so zusammengehangen hat. Lily war trotz allem eine weitaus bessere Mutter als Antonia, die mich hatte umbringen wollen. Und der ertrunkene Simon war ein weitaus, besserer Vater als der, der nie da war. Doch das nehme ich nur an. Mit Sicherheit weiß

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