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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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verschwunden ist, und das dient nicht gerade dem Verkauf ihrer Bücher, wie aus den negativen Verkaufszahlen des Verlags deutlich hervorgeht.« Zu der Zeit nahm auch Laurits’ Gesundheit ernsthaften Schaden. Allmählich hatte sie so viele Geschwülste, dass es keinen Sinn mehr machte, ihnen Namen zu geben. Und dann waren da auch noch die großen, nässenden Wunden, die nicht heilen wollten. »Bis jetzt konnte ich sie glücklicherweise unter langen Ärmeln und hochgeschlossenen Kleidern verbergen, doch es besteht kein Zweifel, dass das Ende naht«, schrieb sie. »Ich hätte schon lange aufgegeben, wäre da nicht Nella. Ich kann nicht sterben und sie alleine lassen. Nicht bevor ich mir sicher bin, dass sie ihren Weg findet.«
    Das war mein Glück, denn eines Tages wurde Antonia erneut von den Gespenstern und ihrer Botschaft heimgesucht, mich umzubringen, um ihre richtige Tochter zurückzubekommen. Dieser Tag war zufälligerweise mein sechster Geburtstag, ein strahlender Morgen im Mai. Auf meinem Nachttisch wartete ein Päckchen von Antonia, in dem ein paar Lackschuhe mit harten Sohlen lagen. Vielleicht sehen Sie bereits alles vor sich: Die Möbel, die um mich aufragten. Die Lackschuhe, die an meinen Füßen glänzten. Ich wollte Antonia suchen, mich bei ihr bedanken, und lief durch die Zimmer von Liljenholm.
    »Mutter? Mutter, wo bist du?«
    Doch in dem Moment, in dem ich ihr die Arme entgegenstreckte und erwartete, hochgehoben zu werden, spürte ich ein paar kräftige Hände um meinen Hals. Wie Sie wissen, verfolgt mich dieser Moment seitdem in meinen Träumen. Die Luft, die ich nicht mehr bekam, obwohl ich danach schnappte. Die seltsam mechanischen Geräusche in meinem Nacken, wie Zahnräder, die außer Takt geraten waren. Ich versuchte mich zu wehren, doch die Hände waren zu stark, sie zitterten vor Anstrengung. Es drückte auf meine Augen und brummte in meinen Ohren, und schwarze Flecken breiteten sich aus, bis ich nichts mehr sah.
    Ich kann mich nicht erinnern, dass Lily angelaufen kam. Im Grunde genommen kann ich mich an gar nichts erinnern. Meine Erinnerung setzt erst ungefähr ein halbes Jahr später ein, als ich Zeugin des wahnsinnigen Erlebnisses mit dem Brieföffner wurde. Doch ich entnehme Laurits’ Tagebüchern, dass Lily sich auf Antonia geworfen, ihre Hände von meinem Hals gerissen und zur Seite gedrückt hat, bis sie flach auf dem Rücken lag. »Als ich eintraf, saß Lily rittlings auf Antonia. Ich wünschte, ich hätte sie schon früher so gesehen«, schrieb Laurits. »Sie war eine Löwin, die zum Angriff überging, meine Lily. Ihre Zähne waren gebleckt. ›Du rührst dich nicht von der Stelle, du Mörderin‹, fauchte sie Antonia an, die selbst mit ihrem verzerrten Gesicht, das sie mir zudrehte, schön war. ›Laurits ist die Mörderin, nicht ich.‹ Man stelle sich einmal vor, dass sie das gesagt hat! Doch Lily hörte nicht auf sie und bat mich, mich um das Mädchen zu kümmern. ›Sie liegt da drüben. Ich glaube nicht, dass sie noch lebt‹, sagte sie. Ich tat, worum man mich gebeten hatte. Das habe ich immer getan.«
    Doch Antonias Mordversuch war mehr, als Laurits akzeptieren konnte. »Ich habe während meiner Zeit auf Liljenholm bei vielem mitgemacht, bei wie vielem weiß nur Gott«, schrieb sie. »Doch ich kann nicht stillschweigend zusehen, wie Antonia ihre unschuldige Tochter zu Tode misshandelt. Im Moment steht das Mädchen unter Schock. Sie liegt in ihrem Bett und starrt in die Luft, ohne auch nur ein einziges Mal ›Wo ist Bella?‹ zu sagen. Lily muss in allerletzter Minute eingeschritten sein. Das Mädchen hat Punktblutungen in den Augen und auf den Wangen, und ihr Hals ist voller dunkelvioletter Flecken. ICH HABE GENUG !« Laurits schritt zur Tat. Sie ging zu Simon und Lily und stellte sie vor die Wahl. Entweder würde sie, Laurits, augenblicklich zur Polizei gehen und den Mordversuch und die Misshandlungen anzeigen, oder sie schafften augenblicklich die verrückte Antonia weg. »Die Götter mögen wissen, dass ich Antonia mehr als jeden anderen Menschen liebe«, schrieb Laurits. »Doch es ist weder zu ihrem noch zu Nellas Bestem, dass Antonia noch länger frei unter uns herumläuft. Simon und Lily haben das auch eingesehen. Endlich! Doch Lilys Vorschlag … ich ertrage es kaum, ihn zu Ende zu denken.«
    Doch das tat Lily für sie, und schließlich fasste sie einen Entschluss. »Soweit ich sehe, haben wir zwei Möglichkeiten«, sagte sie. »Wir können Antonia selbst medizinisch

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