Das Turmzimmer
machen. Deshalb habe ich nachgedacht. Ich werde vorschlagen, die Einnahmen zu teilen.«
»Die Einnahmen zu teilen?«
Sie nickte.
»Ja, die eine Hälfte bekommen die beiden und die andere du und ich und Liljenholm.«
Endlich zählte Laurits zwei und zwei zusammen: »Sie will Liljenholm vor dem sicheren Ruin retten. Darum geht es«, schrieb sie. »Doch ich befürchte, dass das auf lange Sicht ein sehr hoher Preis für sie sein wird. Meine geliebte Lily. Ich befürchte, dass das nicht funktionieren wird.«
Laurits’ Angst war berechtigt. Natürlich stimmten Antonia und Simon Lilys Vorschlag zu, die Einnahmen zu teilen, die in einem Ausmaß hereinströmten, dass nicht einmal Antonias Kleiderkäufe mithalten konnten. Schon gar nicht, als Lily Antonia von Liljenholms nächsten Roman Die verlassenen Fräulein und anschließend Der Elfenbeinturm und Das Gabelbein beendet hatte, die sich sowohl zu Hause als auch im Ausland tausendfach verkauften. »Liljenholm ist jetzt schuldenfrei, doch Lily wird von innen her aufgefressen«, stellte Laurits fest. Das war auch nicht verwunderlich, denn nach Lady Nellas geschlossene Augen war Antonia von Liljenholm zu einer Berühmtheit geworden, die sich fotografieren und interviewen und bejubeln und zu allen möglichen Bällen und Abendgesellschaften einladen ließ. Sie trat immer alleine auf. Sie ging sogar so weit, alle zu bitten, Liljenholm zu verlassen, wenn Gäste oder Fotografen zu Besuch kamen. Simon tat das, ohne zu murren. »Ihm scheint es gut damit zu gehen, im Hintergrund zu stehen und die Fäden zu ziehen«, schrieb Laurits. »Doch Lily wendet sich inzwischen ab, wenn sie ihn mit Antonia zusammen sieht. Und wenn sie Liljenholm verlassen soll, ist sie ganz bleich vor Wut.« Ich gehe einmal davon aus, dass Lilys Wut, nicht zuletzt auf Simon, zu dieser Zeit neue Ausmaße erreichte. Laurits schreibt das nicht direkt, und das muss sie auch nicht, denn ich erinnere mich deutlich an Mutters Worte auf dem Sterbebett. Ich glaube, Agnes hat das bereits geschrieben: Mutter bezeichnete ihn als einen manipulativen Satan und ein verdammtes Schwein, das ihr ihre Schwester genommen, ja, das sich sogar an ihr vergangen hatte. So muss Lily ihn und sein Verhältnis zu Antonia erlebt haben, aber sie hat es sich nicht anmerken lassen. »Sie schreibt und schreibt, und in ihren Manuskripten nimmt das Liebesverhältnis zu Antonia, soweit ich das sehe, noch immer einen großen Platz ein«, schrieb Laurits. »Doch in Wirklichkeit ist es längst vorbei, fürchte ich.«
Zunächst schien Antonia über die Tatsache, dass Lily sich von ihr abgewandt hatte, leicht verwundert. Später heiratete sie aus Trotz (jedenfalls nach Laurits’ Meinung) Simon. »Sie küssen sich und albern herum, vor allem wenn Lily und ich in der Nähe sind«, bemerkte Laurits. »Obwohl Antonia noch immer unangemessen dominant und zeitweise hysterisch ist, besteht kein Zweifel, dass sie sich dem süßen Leben hingeben, während wir anderen uns abrackern.«
Und wie Sie bestimmt schon erraten haben, hatte das süße Leben Folgen. Ich kam 1908 zur Welt, und zur Überraschung aller war ich kein Zwilling. »Das lässt zumindest hoffen, dass wir uns zusätzlich zu allem anderen nicht auch noch mit dem Gerede über die Zwillingsverrücktheit herumschlagen müssen«, bemerkte Laurits. »Doch wie sie das Mädchen genannt haben! Herr im Himmel! Antonia scheint allem Anschein nach zu meinen, dass es Glück bringt, das arme Kind nach der künstlerisch begabten Nella in Lady Nellas geschlossene Augen zu nennen. Soweit ich das sehe, sind Antonia und Simon übrigens die Einzigen, denen das Buch Glück gebracht hat. Ja, oder wie auch immer man das nun bezeichnen soll.«
Es steht außer Zweifel, dass meine Mutter und mein Vater sich auf meine Ankunft gefreut haben. Sie haben Horaces und Claras altes Schlafzimmer für mich hergerichtet und sich darin geübt, Wiegenlieder zu singen. Die ganzen neun Monate lang hat Antonia mit ihrem Bauch geplaudert und mich ihre »kleine Puppe« genannt. Doch ich war keine kleine Puppe, als ich endlich zur Welt kam. Ich war nicht einmal schön mit meinem spärlichen Haarwuchs und meinen großen Ohren. Und was noch schlimmer war, ich schrie wie eine Besessene und weigerte mich aufzuhören. Monat für Monat trieb ich meine Eltern in den Wahnsinn. Vor allem Antonia, die überhaupt nicht verstand, warum ich nur noch lauter schrie, wenn sie hysterisch auf mich einschlug, um mich zum Schweigen zu bringen. So wie Lily,
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