Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
nun verstehe ich auch, warum die Amerikaner in ihren Zimmern alle so tiefe Sessel und Sofas haben. Auch ich berge mich im tiefen Kanapee meiner Residenz mit dem Buch von Doctorow.
Pünktlich mit dem Schneesturm kommt Peter. Alle Flüge fallen aus, alle Taxis kapitulieren, aber Peter steht genau zur angekündigten Zeit vor der Tür und fragt bloß, was ist denn hier schon wieder los? So ist er.
Dann geht er erst einmal einkaufen, weil er gleich sieht, daß nur ein paar leer gegessene Tüten herumliegen, er mag aber lieber einen vollen Kühlschrank und gekochte Speisen. Dann räumt er auf, das Gröbste wenigstens, schraubt hier ein bißchen, zieht da irgend etwas fest und sagt, wie sehr er sich freut, mich wiederzusehen. Was er nicht sagt, ist, wenn ich mich nicht um dich kümmern würde, würdest du völlig verkommen. Ich sage, daß ich mich auch sehr freue, ihn wiederzusehen. Was ich nicht sage, ist, du hast ja recht, wenn ich dich nicht hätte, würde ich völligverkommen. Dann kascherisiert er die Töpfe, das Geschirr und Besteck, weil er mit Recht davon ausgeht, daß ich das bis jetzt versäumt habe, und legt eine Einkaufsliste fürs nächste an.
Sobald sich der Schneesturm gelegt hat, dränge ich hinaus, um Peter das überirdische Licht und das Village zu zeigen. Ich schleppe ihn durch die Straßen und zu den Plätzchen, die ich nun schon ganz gut kenne, am petshop vorbei, wo die kleinen Hundebabys unter der Rotlichtlampe wachsen, die Brownstone-Häuserzeilen entlang, die mit ihren verschneiten Vorgärtchen noch romantischer aussehen, bis zum Hudson hinüber. Peter will umkehren, er ist noch im Jetlag, die icy winds , die noch immer wehen, sind ihm zu schneidend und kalt, und er hat einfach keinen richtigen Wintermantel. Ich ziehe ihn in den ersten Mantel-Shop auf der Hudson Street, der mir nicht zu vornehm, aber auch nicht zu schäbig erscheint, er probiert zwei, drei Mäntel an, Wintermäntel für Männer sehen eh alle gleich aus, doch beim letzten ermutigt ihn der Verkäufer, ein African-American , mit dem Argument zum Kauf: Now you look like a real Jew , sieht mich an und erwartet von mir die Bestätigung. Doesn’t he? For 60 $! It’s a mezie! Wir nehmen ihn.
Woher das überirdische Licht kommt, hat mir Peter auch nicht erklären können. Wenn der südliche Breitengrad dafür verantwortlich sein sollte, bleibt noch die Frage,warum es hier im Sommer so heiß wie in Casablanca und im Winter kälter als in Norwegen ist. Warum der Mond, der zunächst vertikal aufgeht, sich nach einigen Stunden, gegen Mitternacht, auf den Rücken legt, weiß Peter auch nicht zu beantworten, da müsse er sich erst einmal kundig machen, sagt er, auch über das Problem, warum die Wasser des Ozeans die Wärme halten, der Sand der Wüste aber offensichtlich nicht, das ich als Zusatzfrage anbiete. Ich schlage eine Erklärung vor, die er mir einmal vor vielen Jahren gegeben hat, als ich nicht verstand, wieso das Rührei immer schon abgekühlt ist, wenn die gleichzeitig dazu geschmorten Tomaten noch so heiß sind, daß man sie nicht essen kann. Das hinge mit dem unterschiedlichen Flüssigkeitsgehalt der beiden Komponenten zusammen, hat er mir damals erklärt, wendet jetzt aber ein, daß man die Thermodynamik von Meeren und Wüsten nicht direkt von Tomaten mit Rührei ableiten könne, die thermodynamischen Vorgänge sowieso die schwierigsten Kapitel der Physik darstellten und es darüber hinaus auch schon viele Jahre her sei, daß er in Physik promoviert wurde. Während er das alles sagt, schlägt er ein bißchen die Augen zum Himmel, er könne aber in irgendeiner Bibliothek über diese Probleme nachlesen, falls ich sonst keine anderen hätte und soviel Geduld aufbringen würde, was er bezweifelt.
Im Gegensatz zu mir hat er viele Verabredungen und vielzu erledigen in New York, nicht bei der »Aguda« diesmal, sondern Dinge, die mit seiner Arbeit im Archiv zur Geschichte der Juden in Deutschland zu tun haben, beim Leo Baeck-Institut, bei der American Jewish Historical Society und beim YIVO, dem Institute for Jewish Research, die alle gerade seit wenigen Monaten mit anderen jüdischen Forschungsinstituten in einem Center of Jewish History zusammengelegt worden sind, nicht weit von unserer Residenz, in der 16th Street, wo sie sich einen gemeinsamen Lesesaal und eine Cafeteria teilen, in der wir uns manchmal mittags treffen.
Nun bin ich nicht mehr ledig, unbehindert, unverheiratet, unbesetzt, leer. Peter stellt mich den Kollegen als my
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