Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
haben ja gesagt, sofort. Und ich habe mich von einer Minute zur anderen entschlossen, okay, dann sofort. Ich bin noch nicht einmal mehr nach Hause gefahren, um etwas zu holen, mein frisch erworbenes Abiturzeugnis etwa.
Das Abiturzeugnis hat sie dann auch nicht gebraucht, weil sie einfach ihrer Intuition als Lebenskünstlerin vertraut hat. Bei der Tante in West-Berlin ist sie nicht lange geblieben, sondern erst einmal durch die ganze Welt gereist, dann hat sie einen Italiener geheiratet und dann noch einen Italiener, nacheinander natürlich, jetzt ist sie von beiden geschieden, aber mit beiden noch freundschaftlich verbunden, denn sie haben ihr die italienische Küche mit Raffinesse beigebracht. Irgendwann ist sie in Amerika gelandet, das mußte ja so kommen, und hier bekocht sie nun große Parties mit Hunderten von Menschen. Dabei helfen ihr die neun Freundinnen und Georgie, wenn sie nicht gerade zur Lesung von Monis alter Schulfreundin aus Karlshorst ins Deutsche Haus abkommandiert werden. Undhast du jetzt wieder einen hus band oder so etwas in der Art, frage ich sie, aber sie sagt, o Gott, nein, nie wieder husband ! Lieber einen lover , in New York habe ich doch so große Auswahl! Manchmal ist es mit Liebe und Leidenschaft, und manchmal ist es just for fun , strahlt sie.
Offensichtlich hat sie nichts von ihrem Freiheitswillen verloren, seit sie sich vor vierzig Jahren entschloß, lieber in einen Kofferraum der französischen Besatzungsarmee zu steigen, als ihr Leben in der DDR zu vertrauern. Beim Bezahlen unserer Kaffees, natürlich lädt sie mich ein, teilt sie der Kassiererin im Space Untitled gleich mit, daß ich ihre Freundin aus former East-Germany bin und ein famous writer , wie sie prahlt, das kann die Kassiererin aber überhaupt nicht beeindrucken. Hier im Village gibt es lauter writers und artists , und alle sind famous , und dauernd kommt Robert de Niro vorbei.
Der Chossid von der 6th Street
Das gibt es hier öfters, daß sich Kirchen in Synagogen verwandeln, wie die auf der 6th Street zwischen First and Second Avenue, im East Village also, aber auch Synagogen können sich in buddhistische Tempel oder konfuzianische Kulturzentren verwandeln. Einer von Peters Kollegen vom Jewish History Center hat uns gesagt, in dieser Synagoge gehe es ganz »heimisch« zu – wie er sich ausdrückte.
Da gehen wir also hin. Der Rabbi heißt an diesem Schabbes einen guest cantor willkommen, und zwar einen von der berühmten Carlebach Shul an der 79th Street, wo man zwei Stunden Schlange stehen muß, um einen Platz zu ergattern, weil die Leute von sehr weit her kommen, um den verrückten »Carlebach-Service« zu erleben.
Schlomo Carlebach, der Gründer der Schul an der 79th Street, stammte aus der deutschen ABC-Dynastie, namentlich aus Berlin, war nach seiner Auswanderung irgendwann zum Chossid geworden und später, man kann es nicht anders sagen, zu einem Weltstar der jüdischen Musik. Er hat nämlich die langweiligen deutschen Reformchoräle seiner Herkunftskultur durch temperamentvollen osteuropäischen Klezmer im Folkstil ersetzt und nicht nur in der Synagoge, sondern auch auf Konzerten mit Bob Dylan und Joan Baez und vielen anderen gesungen,dazu Dutzende von Platten und Doppelalben mit den größten Hits seiner himmlischen Hymnen aufgenommen, die seine Fans, die zwei Stunden vor der Carlebach Shul anstehen, natürlich alle auswendig können. Als er 1994 starb, hinterließ er nicht nur eine untröstliche Fangemeinde, sondern auch viele Schüler.
Einer von ihnen, ein rotblonder King David-Typ, sorgt nun in der Synagoge an der 6th Street für Stimmung. Die gewohnten Gebete singt er in den schwungvollen osteuropäischen Folk-Melodien, die er von seinem Meister gelernt hat. So schwungvoll, daß er geradezu abzuheben scheint, er wirkt sogar ganz schön erleuchtet, jedenfalls auf mich, denn ich bin ja eher von der rationalistischen Art, auch wenn Peter das bezweifelt, bloß weil ich lauter und heftiger rede als er und dabei mit den Armen rumfuchtele und infolgedessen manchmal Gläser umstoße. Unser Chossid singt nicht nur, er hüpft auch dazu und tanzt, klatscht, stampft und trommelt, und der Service , der Gottesdienst also, dauert entsprechend lange, obwohl der Schabbes-Vormittag-Service mit Tora- und Haftora-Lesung ja schon lange genug dauert, das ist eben der Carlebach-Style. Happy Minjan nennen es manche . Die Leute, die hier wohl sonst eher einen klassischen Stil gewohnt sind, gucken halb befremdet und halb
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