Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
dem alles gleichgültig ist, habe ich zum ersten Mal weinen können. Vor Heimweh. Seit dem Anblick dieser hochgewachsenen Bäume vor dem Haus, in dem ich Kind war, ist meine Trauer stärker als die Bitterkeit.
Doctorow und Stifter
Die richtige Lektüre für eine Reise zu finden, ist nicht so einfach, denn Bücher, die einem lange Freund waren, verschließen sich in der Ferne auf einmal oder laufen einem weg. Irgendein Buch aber sollte mich während meiner New Yorker Residenzzeit doch begleiten. Kein deutsches oder französisches sollte es sein, hatte ich mir gedacht, sondern eines aus der angelsächsischen Kultur, möglichst amerikanisch, und am allerbesten ein New York-Buch.
Vor einiger Zeit war in deutscher Übersetzung City of God von E.L. Doctorow erschienen, ein Autor, mit dem ich schon eine jahrzehntelange »Affäre« habe. Sein Buch Daniel steht, seit es 1974 auf deutsch erschienen ist, in meinem Regal, aber gelesen habe ich es erst nach vielen Jahren der Verweigerung. Ich wohnte damals noch in Ost- Berlin, irgendein Freund hatte mir das Buch aus dem Westen mitgebracht und über die Grenze geschmuggelt. Die Freunde aus dem Westen brachten uns oft Bücher mit, allerdings nicht immer die, nach denen wir lechzten, sondern solche, die sie für unsere Aufklärung für nötig hielten. Bei Schokolade oder Alkoholika lieferten sie genau nach der Wunschliste, bei Büchern und darüber hinaus ganzen Gesellschaftsmodellen aber meinten sie besser zu wissen, mit welchen Texten und Schriften sich unser mangelnder Glaube aufrichten ließe. Ich ließ Das Buch Daniel also links liegen, weil ich (wie sich später herausstellte, völlig zu Unrecht) glaubte, mir schon denken zu können, um welche Art Propaganda es sich handeln würde, wenn der Autor den Prozeß gegen Julius und Ethel Rosenberg beschreibt und deren Hinrichtung anklagt, während er die Schauprozesse, falschen Anklagen und Hinrichtungen in kommunistischen Ländern nicht für der Rede wert hält. Deshalb boykottierte ich das Buch zwanzig Jahre lang, beließ ihm aber seinen Platz in meinem Bücherregal, bis ich es dann doch einmal aufschlug und sah, daß alles ganz anders war, nämlich genau das Gegenteil dessen, was ich ihm böse unterstellt hatte. Das Buch Daniel erzählt von der kleinen kommunistischen Gemeinde in den USA, aus der die Rosenbergs kamen, ihrem kleinbürgerlichen jüdischen Hintergrund in der Hester Street, in der »ihre Politik, wie Großmamas Religion, ein Vorgriff auf die Zukunft zum Schutz gegen das schreckliche Leben der Gegenwart darstellte«. Doctorow beschreibt diese kleine Welt distanziert, ironisch und doch anteilnehmend, und am liebsten hätte ich ihm einen Entschuldigungsbrief geschrieben und ihm meine neue Begeisterung für sein Buch mitgeteilt, wie Leser das manchmal tun, denn seitdem ich mein Vorurteil völlig revidiert hatte, gehört Das Buch Daniel zu meinen Lieblingsbüchern. Natürlich habe ich diesen Brief nie geschrieben, wo hätte ich ihn auch hinschicken sollen, und das Buchwar schließlich schon dreißig Jahre zuvor in Amerika erschienen.
Inzwischen schreibt Doctorow viel dekonstruierter, so kann ich mich in City of God wie in der Stadt verlaufen und die Schauplätze der Handlung auf dem Stadtplan und in den Straßen aufsuchen. Es war also genau das richtige Buch am richtigen Ort und im richtigen Moment, und das sollte sich als noch wahrer herausstellen, als ich es hatte ahnen können, denn als mich Sanda fragte, was ich gerade lese, lachte sie bei meiner Antwort. Doctorow!, aber der wohnt doch in deinem Haus, er ist an der New York University als Professor für creative writing angestellt, wie die meisten Schriftsteller in Amerika, die an irgendeiner Universität ihr living haben.
So lese ich das Buch also nicht nur genau an dem Ort, an dem es geschrieben wurde, sondern der Autor ißt vielleicht gerade in einer Wohnung neben, über oder unter mir sein Sandwich, oder er telefoniert oder watcht television oder schreibt an seinem neuen Roman. Eine solche Einheit von Ort und Zeit und Handlung habe ich noch nie erlebt.
Geh doch einfach mal hin und mach dich mit ihm bekannt, meinte Sanda, sagst ihm, daß du auch Schriftstellerin bist.
Aber das finde ich affig. So was tue ich nicht, das ist nicht meine Art. Im Lift allerdings observiere ich seitdem dieMänner seines Alters, geboren 1931, steht in der Kurzbiographie, und frage mich, ist er’s, ist er’s nicht?
Und dann fällt mir in meiner Residenz plötzlich ein Band
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