Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
Wort habe ich ja schon lange nicht mehr gehört! Er meinte das Wort »Diskette« und war erstaunt, daß diese technologische Fehlentwicklung überhaupt noch existiert; die fünf Computer, die in seiner Familie herumstehen, werden schon lange mit Sticks gesichert. Ich habe meine Seiten also im Deutschen Haus ausgedruckt, wo die Technologie noch auf europäischem Standard läuft, und kann so dem Text eine Weltpremiere in New York verschaffen. Er kommt gut an, die Leute lachen viel, das habe ich immer am liebsten, wenn sie lachen, und auch Kathrin und Kathrina hat es gefreut.
In der ersten Reihe sitzt Peter und strahlt und ist stolz auf seine Frau. Jahrelang habe ich es nicht ertragen können, daß er zu meinen Lesungen oder anderen öffentlichen Auftritten kommt, weil ich mich dabei vor ihm, wenn ich auch nicht weiß wofür, schämte. Ich habe ihm sogar verboten, zu meinen Lesungen zu erscheinen. Er hat es respektiert, vielleicht war es ihm sogar recht. Wir haben darüber nicht weiter gesprochen.
Dann stehen wir alle noch ein bißchen herum, Wein und Brezeln werden gereicht, im Vergleich mit dem Cocktail in der Maison Française eher frugal. Ich werde gefragt,ob ich später etwas über meinen New York-Aufenthalt schreiben werde. Nein, nein, natürlich nicht, antworte ich, wie denn das? Ich mache so viel small talk und bin so freundlich, daß mir danach beinahe der Mund weh tut.
Eine Frau unter den Gästen kommt mir seltsam bekannt vor, so etwas passiert jedoch öfters und bleibt dann unaufgeklärt. Sie lacht mir komplizenhaft zu, zuerst einfach lächelnd, dann, in dem Maße, wie sie an meinem Gesicht Erkennen abliest, immer breiter grinsend. Da kapiere ich endlich, wir fallen uns um den Hals – Moni!
Eigentlich habe ich sie an der Ähnlichkeit mit ihren Schwestern erkannt, die ich noch regelmäßig, wenn auch in großen Abständen treffe, seit Moni 1963, zwei Wochen nach dem Abitur, in den Westen geflohen ist, und zwar im Kofferraum eines amerikanischen Armeefahrzeuges, das nach dem Besatzungsstatut nicht von DDR-Grenzern kontrolliert werden durfte. Die Boys setzten sie heil und unbehelligt bei ihrer Tante in West-Berlin ab, die natürlich in Ohnmacht fiel, als Moni an der Tür klingelte und »Hallo, da bin ich« sagte. Mit dieser Flucht war Moni damals in Karlshorst zur heimlichen Heldin und für viele Wochen zum Gesprächsthema Nummer Eins geworden. Und jetzt, nach vierzig Jahren, bei den Brezeln nach meiner Lesung im Deutschen Haus, teilt sie mir als allererstes mit, es waren übrigens keine Amerikaner, es waren Franzosen. Ich bin platt. Ich kann es gar nicht fassen. Moni ausKarlshorst! Nach vierzig Jahren sehen wir uns wieder! Franzosen also! Warum ich mir nicht die Haare färbe, fragt sie mich im selben Atemzug, dreht sich gleichzeitig in die Runde und sagt, ich hab meine neun Freundinnen mitgebracht! Jeannie und Janie und Joannie u.s.w. stellt sie sie mir vor, und noch einen Georgie dazu, wir lachen uns an in der Runde, how do you do, nice to meet you.
Für den nächsten Tag verabrede ich mich mit ihr im Space Untitled in der Greene Street, das ich zu meinem südlichen Stammlokal erkoren habe. Mein nördliches ist das Bagel Bites in der 8th Street, ein koscheres Restaurant, Self Service natürlich, so etwas, das sie hier »Deli« nennen. Es wirkt etwas eingeklemmt zwischen Schwarzlederstiefel-, Gay-, Lesbien-, Transsexuellen- und Sadomaso-Shops, aber die ebenfalls ganz in Schwarz gekleidete orthodoxe Kundschaft des Lokals bewegt sich völlig ungezwungen, wenn sie ihre Knischkes mit Kren verspeist, und auch jede Menge Touristen ißt dort Lachs-Bagels mit Rote-Bete-Salat.
Ich will wissen, wie es Moni seit ihrer Flucht ergangen ist, aber sie stellt erst einmal klar, daß sie nicht etwa mit einem der französischen Offiziere, die ihr zur Flucht verholfen hatten, ein Verhältnis gehabt habe, so wie sich das damals natürlich alle in Berlin-Karlshorst vorstellten, auch nicht für eine Nacht oder für einen Nachmittag. Die Franzosen hätten sie aus politischer Überzeugung rübergebracht,durch ein winziges Loch im Eisernen Vorhang, und keine Gegenleistung dafür verlangt. Ich kannte ihre Namen nicht, sagt Moni, sie kannten meinen nicht, und ich habe keinen von ihnen je wiedergesehen. Wir waren zufällig in einem Geschäft in der Stadt ins Gespräch gekommen, erzählt sie, erst haben wir ganz harmlos ein bißchen gescherzt und gelacht, dann habe ich sie direkt gefragt, würdet ihr mich mit ’rüber nehmen? Sie
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