Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
begeistert, einige von ihnen springen auf und tanzen oder klatschen mit, andere bleiben sitzen, und man sieht ihnen deutlich an, daßsie das alles ein bißchen übertrieben, um nicht zu sagen, meschugge finden.
Danach gibt es im basement der Synagoge einen Kiddusch, ein Buffet also, das man sich nach den vielen anstrengenden Stunden auch verdient hat. Auf mehreren Tischen sind alle Köstlichkeiten Osteuropas aufgehäuft, und zwar in so unvorstellbaren Mengen, daß man meinen könnte, sie sollen die Erinnerung an schlechte Zeiten in Osteuropa bannen. Warm: Tschulent, Borschtsch und Kigel, und dazu kalt: Krepplachs und Rogelachs, Hering, sauere Gurken, Rote Bete, eingelegter Knoblauch und Kren. Andere Tische biegen sich unter Knischkes, Bagels, Kichlechs und allem, was die böhmische, mährische und sonstige Habsburger Küche noch an Mehlspeisen zu bieten hat, Topfen-, Mohn- und Apfelstrudel aller Art. Wir schaufeln uns davon auf unsere Plastikteller, setzen uns wie alle anderen an einen der runden Eßtische, während der Chossid nun ein »Wort« sagt. Wenn Juden zusammensitzen, geht es ja selten ohne Worte ab.
Er steigert sich in eine richtige Prophetenrede hinein, beschwört uns, die Tora sei sweeter than honey , fast weint er schon, und daß wir, statt uns immer gegenseitig zu streiten, zu verurteilen, zu verachten, lieben sollen. »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst«, fleht er uns an. »Das ist die ganze Tora, der Rest ist Kommentar, hat Hillel gesagt.« Und wettert weiter: Weil die Religiösen damals in Israelsäkulare Juden, die am Schabbes in ihren Autos zum Strand fuhren, mit Steinen beworfen haben, werfen die Araber jetzt Steine auf uns alle! Und nachdem eifersüchtige Rabbiner die Schriften des Maimonides verbrannten, habe Ludwig der Heilige in Paris Wagenladungen von allen nur irgendwo auffindbaren Exemplaren des Talmud verbrennen lassen. 1240! Ein un-vor-stell-ba-rer Verlust, denn da gab es noch keinen Buchdruck! »Warum wurde unser Tempel zerstört? Nicht wegen irgendwelcher Nebukadnezars oder Römer, not at all , sondern wegen unserer Sünden, wegen unseres grundlosen gegenseitigen Hasses! Weil wir übereinander schlecht denken, übereinander schlecht reden und uns gegenseitig schlecht behandeln! Und zwar grundlos! So steht es an mehreren Stellen im Talmud, sinat chinam , heißt das auf hebräisch, sinnloser Haß. Denkt daran!« wettert er, »handelt danach!«
Wahrscheinlich hat er ja sogar recht, unser Chossid. Ich finde, er könnte sich um eine Stelle als Jesaja bewerben, wenn er so wettert und fleht und immerzu wiederholt, daß unsere Tora sweeter than honey sei. Das viele Singen, Klatschen und Stampfen während des Service hat ihn offensichtlich erst richtig in Schwung gebracht. Als er mit seinem Wort fertig ist, rufen die Leute Schkojach !, was ein bekräftigender Ausdruck der Zustimmung ist. Aber man sieht allen Beteiligten an, daß sie froh sind, es hinter sich zu haben.
Viele sprechen uns jetzt an und fragen, where do you come from, und wir bemerken mit Genugtuung, daß Straßburg offensichtlich einen guten Klang auf der jüdischen Weltkarte hat. Do you know Raw Schlesinger? – Of course we do! Er gibt nämlich die Koscherstempel für die besseren französischen Weine. Daß wir originally from Germany kommen, erwähnen wir erst einmal nicht, weil das zu viele weitere Fragen nach sich ziehen würde, das heben wir uns lieber für eine eventuelle nähere Bekanntschaft auf. Manchmal sind wir es nämlich müde, immer wieder unsere ganze Geschichte zu erzählen, auch wenn sich hier, wegen der Berliner Herkunft von Schlomo Carlebach, ein Kreis schließen würde. Ich habe ein paar Visitenkarten eingesteckt, die ich an diesem Schabbes neben Brille, Taschentuch und Schlüssel zu tragen für nötig gehalten habe. Peter dagegen respektiert die Entscheidung von Mosche Feinstein, die das Tragen in Manhattan verbietet, und hat seinen Schlüssel an einem Schabbesgürtel befestigt, die Brille hat er auf der Nase und Papiertaschentücher gibt es wegen des Trageproblems sowieso in jeder Schul in Manhattan.
Hinterher gehen wir zufällig noch ein paar Schritte im Schnee zusammen mit dem Chossid, man sieht seinem Gesicht an, wie der erleuchtete Zustand nun in Erschöpfung übergeht. Er erzählt uns, daß er in Paris geheiratet hat, Rabbin Sitruk habe ihn und seine Frau getraut. Obwir ihn kennen? Natürlich kennen wir ihn, er ist jetzt zum Grand Rabbin de France aufgestiegen. Das wußte der Chossid noch
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