Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
nicht. Dann trennen wir uns, er muß den Broadway hinauf und wir müssen den Broadway hinunter. Gut Schabbes! Alles Gute! Kol Tuw! Das Essen, das wir in unserer Residenz, juste in case, vorbereitet haben, sehen wir gar nicht an und gehen direkt zur Siesta über, von der manche Talmudisten meinen, sie sei am Schabbes Pflicht.
So entschlafen wir in die »Woche«, denn es wird ja sehr früh dunkel, und als wir aufwachen, ist schon der nächste Tag angebrochen, jedenfalls nach jüdischer Zeitrechnung. Wir improvisieren eine kurze Hawdala-Zeremonie, die die Trennung zwischen Schabbes und »Woche« markiert. Dann sammele ich Schmutzwäsche zusammen und fahre mit dem Lift ins basement , um eine der Waschmaschinen, die dort zur Verfügung aller Mieter stehen, mit einem token anzuwerfen, den ich mir vorher beim Doorman geholt habe, und während die Wäsche wäscht, gucke ich mir in der Library meine E-Mails an. Viele Grüße aus Europa.
Aufklärungen
In der New York Times ist gerade eine ganzseitige Anzeige erschienen, die zur Unterstützung der Genfer Nahost-Initiative aufruft und von einer linken Intellektuellengruppe um Michael Lerner, den Herausgeber der jüdischen Zeitschrift Tikkun , aufgegeben worden ist. Darin wird nicht nur erklärt, warum diese Initiative von aufgeklärten Israelis und Palästinensern vielleicht zu einem Frieden oder wenigstens zur Entspannung führen könnte, sondern du, Leser, wirst auch aufgerufen, etwas dafür zu tun. Und nicht etwa nur, indem du deine Unterschrift unter den Aufruf setzt. Nein, du könntest versuchen, die Initiative voranzubringen, indem du sie weiteren Kreisen bekannt machst und ihr mehr Aufmerksamkeit verschaffst. Sprich mit deinen Freunden, Bekannten, Kollegen, Nachbarn darüber, ruf sie an, frage, ob sie auf dem laufenden sind, lade sie ein, veranstalte Partys, um die Genfer Friedensinitiative ins Gespräch zu bringen, organisiere einen Informationsabend in deiner Wohnung, um die Dokumente zu studieren, die du da und da erhalten kannst. Genauso steht es da. In der New York Times. Und Michael Lerner ist wirklich kein naiver Spinner, sondern ein hochkarätiger Intellektueller, der Bill Clinton beraten hat.
Peter und ich wissen nicht, ob wir darüber lachen oder weinen sollen, jedenfalls sind wir schrecklich gerührt, alswir die Anzeige lesen. Es erinnert uns an die Art Demokratie, die uns die DDR immer lächerlich zu machen suchte, weil sie nicht auf der »führenden Rolle der Arbeiterklasse« und ihrer »Partei neuen Typus« oder irgendeinem anderen Quatsch basiere.
Dieselbe Art Rührung überfällt uns, wenn wir PBS anschauen, Public Broadcasting Society, das öffentliche Fernsehen, das es neben den vielen privaten Sendern auch noch gibt, ohne commercials und noch im entferntesten Winkel, im letzten Kaff der USA zu empfangen. Es verfolgt den ganzen Tag sein aufklärerisches Programm, man kann dort von früh bis spät etwas lernen, Sprache, Geschichte, Landeskunde, und wird über alle Rechte und Pflichten in den Vereinigten Staaten von Amerika informiert samt den Stellen, wo man sie notfalls einklagen und sich über alles noch gründlicher informieren kann.
So ist hier alles. Neben dem harten Wettbewerb, der notwendigen Geschäftstüchtigkeit und dem Zwang, immer busy und fit zu sein, engagiert sich jeder noch für irgendeine Sache. Wenn dich in New York jemand fragt, was machst du, und du nennst deinen Beruf, dann ist das nicht die richtige Antwort, nein, was machst du noch, neben deinem Beruf, das ist, wonach gefragt wird. Wofür engagierst du dich, in welcher Initiative setzt du dich ein, in welcher Gruppe verteidigst du welches Anliegen, kümmerst du dich um die Erhaltung eines Bauwerks oderSpielplatzes, betreust frische Einwanderer, Waisen oder Alkoholiker, oder auch, welches Instrument spielst du, wo singst oder tanzt du, machst Theater, malst, schreibst, recherchierst die Geschichte deiner neighbourhood , deines Tempels, deiner Kirche oder Synagoge? Business ist das eine, die Gesellschaft in deinem Umfeld nach deinen Vorstellungen zu gestalten das andere.
Auf PBS erfahren wir zum Beispiel etwas über die Top Ten from the National Archives , die in einer landesweiten Abstimmung per E-Mail gewählt wurden. Die ausgewählten Dokumente werden in einer sehr feierlichen Zeremonie vorgestellt, ihre Geschichte ausgiebig nacherzählt, und die Originale sind für einige Wochen im großen Saal der National Archives ausgestellt, bis auf zwei, die so kostbar und fragil sind,
Weitere Kostenlose Bücher