Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
schneeweißen Stiefeletten auf 10 cm hohen Absätzen einher- stöckelt und ihren schneeweißen Pudel spazierenführt. Aber wie! Vielleicht ist sie eine Berühmtheit, vielleicht ist sie bloß die weiße Pudelqueen von der Charles Street. Vielleicht sieht sie auch nur aus wie eine Frau. Wer weiß, wie sie sich selbst nennt. Wir sind ja hier nicht weit von der legendären Christopher Street, in deren Nähe, in der Bethune Street, sich übrigens auch die Synagoge Simchat Tora für schwule, lesbische, bi- und transsexuelle Juden eingerichtet hat. Der Gedanke, daß dieses heimelige Village mit seinen Häuschen und Vorgärtchen die Heimat der amerikanischen Bohème und von diesem Dorf alle Queer-Kultur der Welt ausgegangen ist, wirkt erheiternd,ja paradox. Ich muß zugeben, daß es in manchen Schaufenstern tatsächlich Dinge zu sehen gibt, von denen ich nicht einmal genau weiß, wie herum man sie sich anschaut und wozu und an welchen Körperstellen sie etwa benutzt werden, so daß ich noch nicht einmal zu erröten brauche, weil mein Interesse rein technisch bleibt. Direkt daneben ist wieder eine ganz altbackene Drogerie, die lauter Krimskrams verkauft, wie ich ihn zum letzten Mal in meiner Kindheit in Ost-Berlin gesehen habe. Dann eine Galerie. Der marokkanische Fotograf, der darin ausstellt, bittet mich, ihn nach Paris weiterzuempfehlen. Dort würde es doch sicher auch eine synagogue connection geben, wie er das nennt. Davon weiß ich nichts, und warum sagt er mir das.
Auf die Frage Where do you come from , damit von Anfang an soviel Klarheit wie möglich geschaffen ist und vielleicht auch aus einer Art Bekenntnissucht, antworte ich in aller Aufrichtigkeit: I come from France, but I am a Ger- man Jew. Die Formelhaftigkeit, in der meine Existenz so ihren Ausdruck findet, beglückt mich. Und sogar in New York bleiben diese Zuordnungen mein magische Dreieck. Fast jeden Tag gehe ich im Deutschen Haus vorbei und lasse mich von Kathrin und Kathrina, die dort angestellt sind, um die deutsche Sprache und Kultur in Amerika zu verbreiten, betreuen, oder ich drucke mir etwas aus odernehme mir eine deutsche Zeitung mit und halte die beiden von ihrer wichtigen Mission ab. Nebenbei tauschen wir unsere Beobachtungen über Amerika im allgemeinen und New York im besonderen aus, über Schwierigkeiten und Auffälligkeiten des Alltags und der Sprache, und dazu geben Kathrina und ich aus der Höhe unserer erwachsenen Kinder Kathrin Ratschläge für ihre erste Schwangerschaft und alles, was darauf folgt. Eine Art Schwangeren- und Mütterberatung. Mit einem der selten auftauchenden Herren, der dort auch noch irgendeine Funktion hat, verkrache ich mich schon, bevor wir uns noch mit unseren Kaffeetassen am Tisch niedergesetzt haben, natürlich über den Nahost-Konflikt und Israel. Ich würde so gerne gelassen bleiben, aber bei dem Thema reagiere ich, wie die meisten Juden, hysterisch. Leider.
Direkt gegenüber vom Deutschen Haus in der kleinen mews hinter dem Washington Square, sie können sich gegenseitig in die Fenster schauen, befindet sich die Maison Française , beide Häuser gehören zur New York University und sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Ehemalige Stallgebäude wie das Häuschen, in dem Sanda wohnt, wirken sie putzig unter den großen buildings , die um sie herum stehen. In der Maison Française lese ich französische Zeitungen oder gucke wenigstens mal hinein, später besuche ich auch einmal eine Abendveranstaltung, bei der ich das »bessere« frankophone und vielleicht auch frankophileNew Yorker Publikum kennenlerne. Ich habe das Gefühl, dieses Publikum ist noch mehr »B.C.B.G.« als sogar in Paris. B.C.B.G. ist die Abkürzung von bon chic bon genre , vom Volk persifliert zu beau cul bonne gueule * – man könnte auch einfach sagen, Snobs. Obwohl ich mir beim anschließenden Cocktail große Mühe gebe, den spitzen Pariser Akzent irgendwie aus mir herauszuholen, sieht man mir meine Nichtzugehörigkeit zur Gruppe natürlich schon an der Kleidung an. So elegante, mit einem Schuß Exzentrik zurechtgemachte, gepflegte Menschen habe ich in meinem Leben noch nie gesehen. Ich komme mir wie ein richtiger Underdog vor, denke während des ganzen Abends, daß ich mich mehr pflegen, auf mich achten, mich inszenieren müßte. Und schlank! Mir war schon aufgefallen, daß man in New York kaum Dicke sieht, die doch sonst in den USA mehr als anderswo zu sehen sind, und Sanda hat mir erklärt, daß in New York jede, auch die abwegigste
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