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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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oft hatte sie sich selbst an diesen Phrasen abgearbeitet. Hatte sie zur Grammatik ihres Lebens gemacht und sich dabei immer mehr aus dem Blick verloren. Wenn ich mich ändere … Wenn du diese andere Frau verlässt … Wenn wir es noch mal miteinander versuchen … Was war übrig geblieben von diesem Möglichkeiten-Roulette, für das man Selbstverleugnung als Spielgeld einsetzte? Ein Zustand, der sich irgendwann im Mittelfeld eingependelt hatte – wohltemperiert, nicht kalt genug für ein Kopfüber ins eisige Wasser, nicht heiß genug, um sich das Herz zu verbrennen. Martha war eine nicht unzufriedene Frau – auch so eine grammatikalische Konstruktion, die sich in der Nicht-Festlegung gefiel. Die doppelte Verneinung als Daseinsform. Ja, doch, es gab sie, die Momente, in denen sie nichts vermisste; es waren nicht viele, aber sie waren da. Das musste genügen, sagte sie sich immer wieder. Sie hatte Freunde, die sie schon lange begleiteten, einen Beruf, den sie mochte, eine Tochter, die sie liebte.
    Keine Frage, unterbrach Francesca ihre Gedanken. Sie möge Männer, aber mit einer Wohnungstür zwischen sich und ihnen. Einer Wohnungstür, die man abschließen könne, wenn einem danach sei.
    Martha dachte, dass ihr diese Erkenntnis erst gekommen war, als ihre Ehe bereits in Scherben lag. Und plötzlich musste sie darüber lachen. Sie hatte noch nie darüber gelacht.
     
    Die beiden Frauen waren jetzt wieder am Hafen. Prachtbauten standen da, fein aufgereiht wie herausgeputzte Musterschülerinnen, mit großen Fenstern, aus denen sich seit Jahrhunderten der freie Blick aufs Meer bot.
    Sie amüsierten sich darüber, dass die Boote, die hier lagen, fast ausnahmslos Frauennamen trugen. Es liege wohl daran, dass es so wenig Bootsbesitzerinnen gebe, meinte Martha, und sie begannen, sich Geschichten zu »Elvira«, und »Rosa« und »Milena« auszudenken. Sie merkten, dass sie beide gut im Ausdenken von Geschichten waren.
    Martha staunte, wie mit dieser Frau auf einmal Leichtigkeit in ihren Nachmittag gekommen war. Bis vor zwei Stunden hatte sie noch geglaubt, sie würde ihren letzten Tag hier allein mit ihrer mäßigen Laune verbringen, ein bisschen herumlaufen, vielleicht noch irgendwo eine Kleinigkeit essen und dann im Hotel ihre Sachen für den Rückflug morgen packen. Alles abspulend mit der Routine unzähliger Dienstreisen.
     
    »Lust, ins Aquarium zu gehen?«, fragte Francesca und deutete auf einen kleinen altmodischen Backsteinbau.
    Martha konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal ein Aquarium besucht hatte, aber es musste zu einer Zeit gewesen sein, als Aquarien noch keine durchgestylten Unterwasser-Erlebniswelten waren, sondern so wie dieses hier. Träge vor sich hin dümpelnde Fische zwischen künstlich aufgebauten Korallen- und Felslandschaften, müde beleuchtet von einem Licht, das in der schummrigen Atmosphäre der engen Räume so etwas wie Orientierung bot. Bunte Gefangene, die sich ihre Nasen und Münder an dem dicken, gewölbten, die Perspektive verzerrenden Glas platt drückten, als wollten sie sich ansehen, wer da zu ihnen hereinschaute, um sich dann mit einem gleichmütigen Schlagen der Flossen wieder abzuwenden.
    »Wir kamen oft als Kinder her, mein Bruder und ich«, erzählte Francesca. »Michele hatte immer Mitleid mit den Fischen. Er hätte sie am liebsten alle im Meer ausgesetzt. Bis auf die Haie.« Sie zeigte auf ein größeres Becken, das über ein paar Stufen zu erreichen war. »Die waren hier drin ganz gut aufgehoben, fand er. Und die Schlangen im Terrarium im ersten Stock natürlich auch. Die ersparen wir uns heute besser.«
    »Hast du auch Angst vor Schlangen?«, fragte Martha. Sie waren ohne Absprache zum Du übergegangen.
    »Grauenhafte Angst. Da oben gibt es ein ziemlich giftiges kleines Ding, das man in der Altstadt von Triest gefunden hat. War ’ne große Sensation in der Presse damals. Mein Vater hat mir sogar die Zeitungsartikel nach Bologna geschickt. Seitdem trage ich hier lieber geschlossene Schuhe.« Sie lachte.
    »Besuchst du deine Eltern oft?«
    »Na ja, seitdem sie etwas gebrechlicher sind, ungefähr jeden Monat. Aber sie schlagen sich ganz tapfer, die zwei. Und sie nehmen dankbar jede Hilfe an. Michele und ich haben eine Haushälterin engagiert, die sie inzwischen behandeln wie ihre eigene Tochter.«
     
    Sie griffen das Thema wenig später wieder auf, als sie am Canal Grande saßen, der, wie Francesca meinte, wegen seiner wenig beeindruckenden Größe eigentlich

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