Das Ungeheuer
den Oberkörper mit beiden Händen umfassend, hoch. Es war ein wunderschönes Baby mit erstaunlich blondem Haar. Seine runden rosigen Wangen gaben dem Gesicht ein pittoreskes cherubinisches Aussehen, aber sein bei weitem hervorstechendstes Merkmal waren die hellen blauen Augen. Als Victor tief hineinschaute, erkannte er erschrocken, daß das Baby seinen Blick erwiderte.
»Schön ist er, nicht wahr?« sagte Marsha über seine Schulter hinweg.
»Prachtvoll«, pflichtete Victor ihr bei. »Aber woher kommt das blonde Haar? Unsere Haare sind braun.«
»Ich war blond, bis ich fünf war.« Marsha hob die Hand und berührte die rosige Babyhaut.
Victor sah seine Frau an, während sie liebevoll das Kind betrachtete. Sie hatte dunkelbraunes Haar, durchzogen nur von wenigen grauen Fäden. Ihre Augen waren von einem glutvollen Graublau, ihre Züge wie gemeißelt, ein Kontrast zu dem runden, vollen Babygesicht.
»Schau dir seine Augen an!« sagte Marsha.
Victor wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Baby zu. »Sie sind unglaublich, nicht wahr? Noch vor einer Minute hätte ich schwören können, er sieht mich an.«
»Wie Edelsteine«, sagte Marsha.
Victor drehte das Baby so, daß es Marsha zugewandt war. Und er sah, daß seine Augen weiter auf ihn gerichtet blieben! Ihre türkisblauen Tiefen waren kalt und hell wie Eis. Unvermittelt verspürte Victor einen Schauer der Angst.
Die Franks waren von Triumphgefühl erfüllt, als Victor den Oldsmobile Cutlass in die schotterbedeckte Einfahrt zu ihrem holzverkleideten Farmhaus steuerte. All die Planung und die bange Sorge des In-vitro-Fertilisationsverfahrens hatten sich ausgezahlt. Die Suche nach einer passenden Leihmutter, die öden Fahrten nach Detroit - alles hatte Erfolg gehabt. Sie hatten ein Kind. Marsha hielt den Säugling in den Armen und dankte Gott für sein Geschenk.
Als der Wagen um die letzte Biegung fuhr, hob Marsha das Baby in die Höhe und zog den Rand der Decke herunter, um ihm sein Zuhause zu zeigen. Als ob er es verstanden hätte, schaute Victor Jr. durch die Frontscheibe des Wagens zu dem hübschen, wenn auch bescheidenen Haus hinüber. Er blinzelte, wandte sich dann Victor zu und lächelte.
»Das gefällt dir, was, Tiger?« fragte Victor scherzhaft. »Er ist zwar erst drei Tage alt, aber ich schwöre, er würde mit mir reden, wenn er könnte.«
»Was würde er dann sagen?« fragte Marsha und ließ VJ auf ihren Schoß sinken. So hatten sie ihn genannt, um ihn besser von seinem Vater unterscheiden zu können.
»Ich weiß nicht«, sagte Victor und hielt vor der Haustür an. »Vielleicht würde er sagen, er möchte groß werden und ein Doktor sein wie sein alter Herr.«
»Ach, um Gottes willen!« sagte Marsha und öffnete ihre Tür.
Victor sprang hinaus, um ihr zu helfen. Es war ein wunderschöner, kristallklarer Oktobertag mit strahlendem Sonnenschein. Die Bäume hinter dem Haus leuchteten mittlerweile in vielfältigen Herbstfarben: scharlachroter Ahorn, orangegelbe Eichen und goldene Birken wetteiferten in Schönheit miteinander. Als sie den Weg hinaufkamen, ging die Haustür auf, und Janice Fay, das Kindermädchen, das bei ihnen wohnte, kam die Stufen heruntergelaufen.
»Zeigen Sie ihn mir!« bettelte sie und blieb vor Marsha stehen. Voller Bewunderung schlug sie die Hand vor den Mund.
»Was meinst du?« fragte Victor.
»Wie ein Engel!« sagte Janice. »Er ist hinreißend, und ich glaube, ich habe noch nie so blaue Augen gesehen.« Sie streckte die Arme aus. »Ich möchte ihn halten.« Behutsam nahm sie das Kind von Marsha entgegen und wiegte es hin und her. »Mit blonden Haaren habe ich ganz bestimmt nicht gerechnet.«
»Wir auch nicht«, erklärte Marsha. »Wir dachten uns, wir würden dich damit überraschen, wie er uns überrascht hat. Aber er hat es von meiner Seite der Familie.«
»Natürlich«, sagte Victor fröhlich. »Dschinghis-Khan hatte viele Blonde bei sich.«
»Wo ist David?« erkundigte sich Marsha.
»Im Haus«, antwortete Janice, ohne den Blick von VJs Gesicht zu wenden.
»David!« rief Marsha.
Der kleine Junge erschien in der Tür, im Arm einen seiner schon weggeworfenen Teddybären. Er war ein zierliches, fünfjähriges Kind mit dunklen Locken.
»Komm und schau dir dein neues Brüderchen an!«
Pflichtschuldig kam David zu der gurrenden Gruppe herunter.
Janice beugte sich nieder und zeigte das Neugeborene seinem Bruder. David warf einen Blick auf den Säugling und rümpfte die Nase. »Er riecht schlecht.«
Victor lachte
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