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Das Unglück der kleinen Giftmischerin

Titel: Das Unglück der kleinen Giftmischerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Wulff
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Blickfeld entschwinden und versuchte dann, sie wieder zu treffen. Schließlich brachte er es aber doch nicht fertig. In einer richtigen Katerstimmung und mit dem Gefühl, ein Versager zu sein, kam er schließlich nach Hause. Beim nächsten Mal sagte er sich: »Jetzt oder nie«, wenn er es nicht täte, würden seine »Auszeiten« auch noch ihre letzte befreiende Wirkung verlieren. Als ihm auf einem seiner »Plätze« eine hübsche, schlanke Frau entgegenkam, stürzte er sich auf sie und zerrte sie ins Gebüsch.
    Luft tat sich zunächst sehr schwer damit, über den genaueren Ablauf dieser ersten und der vier folgenden Vergewaltigungen zu sprechen, weil, so sagte er, das, was er getan hätte, so ganz gegen seine »menschlichen und humanistischen Grundsätze« verstoße. Er antwortete verärgert und leicht gereizt, wenn es um seiner Meinung nach »völlig unwesentliche Details« ging. Vielleicht sträubte er sich auch dagegen, durch die Vorstellung dieser Szenen den damaligen sexualisierten Machtrausch nachzuerleben. Er räumte ein, dass es jedes Mal zu einer »initialen Gewaltphase« gekommen sei, durch die er die Frauen dazu habe bringen wollen, ihm zu Willen zu sein. Er habe sie zu Boden gerissen, gefesselt und ihnen die Augen verbunden. Es sei ihm in der Folge aber darum gegangen, dass die Frauen »freiwillig«, das heißt ohne weitere Gewaltanwendung oder auch nur Gewaltandrohung, alles machten, was er wollte. Und das hätte er zumeist auch erreicht. In dieser zweiten Phase hätte er ihnen auch ihre Angst nehmen wollen: indem er beruhigend auf sie einredete, ihre Fesseln lockerte und ihnen versicherte, wenn sie täten, was er wollte, würde ihnen »sonst nichts« geschehen. Er hätte sich auch eine Weile mit ihnen über ihre Arbeit und ihre Partnerbeziehungen unterhalten. Während solcher Gespräche hätte er sie gestreichelt und schließlich geküsst. Sie hätten dann seine Zärtlichkeiten von selbst erwidert. Zu einer Erektion sei es bei ihm erst während dieser zweiten, zärtlichen Phase gekommen. Das hätte ihm eigentlich schon genügt, den Geschlechtsakt hätte er nur vollzogen, »um die Sache zum Abschluss zu bringen«. Natürlich hätte er gehofft, dass auch seine Opfer dabei etwas Gefallen finden würden, aber das sei wohl eine Illusion geblieben.
    Da ich die Vernehmungsprotokolle der Opfer kannte, wusste ich, dass die fünf Vergewaltigungen nicht ganz nach diesem Schema vonstatten gegangen waren. Eine Frau hatte er in der initialen Gewaltphase gewürgt, wohl weil sie zu schreien versuchte. Bei einer anderen erreichte er den Oralverkehr erst durch eine Drohung mit dem Messer, und sie musste seinen Samen hinunterschlucken.
    Eine dritte - das war sein letztes Opfer - zwang er dazu, bis zum Orgasmus zu masturbieren, und er fotografierte sie dabei. Darauf angesprochen wurde Luft sehr unwirsch. Er behauptete, diese Frauen hätten die von ihm angewendete Gewalt übertrieben, um ihre Opferrolle zu unterstreichen. In Wirklichkeit wären sie jeder seiner Anweisungen sofort nachgekommen, ohne dass es weiterer Drohungen bedurft hätte. Es sei so etwas gewesen wie ein Spiel nach seinem Drehbuch - aber mit vielen Improvisationen. In keinem Falle sei irgendeine Gegenwehr erfolgt. Er habe zu den Frauen Zuneigung empfunden: Im Moment der Vergewaltigung seien sie seine Verbündeten, seine Leidensgenossen geworden, schließlich sei ja auch er in vielfacher Hinsicht in seinem Leben vergewaltigt worden. Diese Zuneigung hätte er zwar nicht in Worten ausgedrückt, aber in seinen Zärtlichkeiten, im Streicheln und Küssen, im Ton, in dem die Unterhaltung ablief.
    Beim ersten Mal, sagte Luft, hätte er fast noch mehr Angst gehabt als sein Opfer. Die Frau sei, nachdem er sie gefesselt hätte, eigentlich sehr gefasst gewesen, sie hätte ihm sogar vorgeschlagen, sich mit ihm in einer Disko zu treffen und danach all das freiwillig zu tun, was er ihr jetzt gewaltsam abfordere. Sie habe ein Abwehrkonzept gehabt, während er nicht wusste, wie es jetzt weitergehen sollte. Er hätte dann die Zähne zusammengebissen und die Sache zu Ende gebracht. Danach hätte er sie beruhigt und ihre Fesseln so weit gelockert, dass sie sich in wenigen Minuten selbst befreien konnte, und sei zum Auto geflüchtet. Allmachtsgefühle hätte er während des ganzen Vorganges überhaupt nicht verspürt. Unterwegs nach Hause sei ein kurzer Triumph aufgekommen: »Du hast es wirklich getan.« Der richtige Machtrausch hätte sich erst am nächsten Tag bei der Arbeit

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