Das Unglück der kleinen Giftmischerin
strukturelle Gewalt des Harems, die er sich herbeiwünschte, eine Situation, in der den Frauen gar nichts anderes übrig bleibt, als der Lust ihres Herren dienstbar zu sein.
Der dunkle Flussgott des Blut
Diese Geschichte ist eigentlich zu schrecklich, um sie überhaupt zu erzählen. An einem Wintermorgen des Jahres 1997 finden Passanten auf einem Stoppelfeld eine verkohlte Leiche. Aufgrund des Gebisses kann ihre Identität festgestellt werden: Es handelt sich um die 20-jährige Bademeisterin Nora Windfuß, die seit zwei Tagen von ihren Eltern und ihrem Verlobten vermisst wurde. Dieser berichtet der Polizei, sie hätte ihn zuletzt spätabends aus der Wohnung eines früheren Freundes, Anton Krumser, angerufen. Krumser behauptet zunächst, Nora hätte seine Wohnung noch in der gleichen Nacht verlassen, verwickelt sich dann aber in Widersprüche und räumt schließlich ein, sie vergewaltigt, erwürgt, ihre Leiche aus dem Haus geschafft und verbrannt zu haben.
Als der Mord in dem kleinen Ort, in dem Krumser wohnte, bekannt wurde, zeigte eine angeheiratete Cousine ihn an, auch sie sei vor neun Jahren von ihm in seine Wohnung gelockt, dort gefesselt, gewürgt und vergewaltigt worden. Da Anton ein Verwandter ihres damaligen Verlobten und späteren Mannes, aber auch ihres Ausbilders war, hätte sie nach einem »Familienrat« seinerzeit darauf verzichtet, zur Polizei zu gehen, zumal Anton sich bereit erklärte, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Aber schon nach zwei Sitzungen brach er die Behandlung ab.
Überraschend schnell werden von der Polizei die in Frage kommenden Zeugen vernommen: Noras Eltern und Freunde, Antons Bruder Christoph, alle bekannt gewordenen Sexualpartnerinnen Antons, das seinerzeitige Opfer, die angeheiratete Cousine Alice, Antons Vater. Ich wurde gebeten, Anton zu untersuchen und zur Frage seiner Schuldfähigkeit Stellung zu nehmen, aber auch zu klären, ob eine Unterbringung in der Forensik oder eine Sicherheitsverwahrung zu empfehlen sei. Wie immer bei der Begutachtung von Sexualstraftätern ließ ich mir von einer sexualwissenschaftlich erfahrenen psychologischen Mitarbeiterin helfen.
Anton wirkte auf mich für seine siebenundzwanzig Jahre sehr unausgereift, wie ein zu groß und zu kräftig geratenes, in die Höhe und Breite geschossenes, ungelenkes Kind. Obwohl er genau wusste, was er getan hatte, und nichts abstritt, schien er sich über die Folgen, die dies für ihn und sein künftiges Leben haben würde, überhaupt nicht im Klaren zu sein. So sprach er davon, dass er seinen Kindern, anders als seine Eltern, alle körperlichen Züchtigungen ersparen wolle. Seine Tat empfand er als eine Art beiläufiges Missgeschick: Sie passte in seinen Lebensplan und auch in sein Selbstbild nicht hinein. Und wirklich erzählten alle Partnerinnen, die freiwillig sexuelle Beziehungen zu ihm eingegangen waren, der Polizei, Anton sei von ruhiger und freundlicher Wesensart, er könne keiner Fliege etwas zuleide tun. Frauen gegenüber versuche er alle ihre Wünsche zu erfüllen, um so ihre Liebe zu gewinnen, nur ganz selten raste er mal aus, aber nur derart, dass er etwas zerschlage oder eine Tür zuknalle, nie würde er seine beträchtliche Körperkraft gegen Menschen einsetzen und jemanden schlagen. Allerdings habe er ein überschießendes Zärtlichkeitsbedürfnis und erkenne oft nicht, wenn das einer Frau zu viel würde.
In völlig ruhigem Tonfall gab Anton mir nicht nur einen Einblick in seine Lebensgeschichte, sondern berichtete auch von seiner jetzigen Tat. An Alice’ Vergewaltigung vor acht Jahren hingegen, behauptete er, keine genaue Erinnerung mehr zu haben; nur dass er sie gegen ihren Willen dazu gezwungen hätte, mit ihm zu schlafen, das wusste er noch. Ansonsten war es eine abgehakte Geschichte, an die er nicht mehr denken wollte. So konnte ich mich bei der forensischen Bewertung dieser Tat nur auf Alice’ Schilderungen beziehen.
Alice hatte der Polizei erzählt, nach einem kleinen Fest mit Verwandten und Freunden hätte Anton sie heimfahren wollen, ihr unterwegs aber vorgeschlagen, kurz mit zu ihm zu kommen, wo ein kleines Geschenk auf sie warte. Den ganzen Abend über sei er auf dem Fest freundlich und ruhig gewesen, auch als sie sich gemeinsam mit allen anderen einen Pornofilm angesehen hätten, sei er nicht zudringlich geworden. In seiner Wohnung angekommen entpuppte er sich jedoch als ein völlig anderer: Kaum dass die Tür geschlossen war, hätte er ihren Pullover zerrissen
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