Das Unglück der kleinen Giftmischerin
und ihr befohlen, sich nackt auszuziehen. Dabei beschimpfte er sie wegen ihrer geringen Oberweite. Als sie versuchte, aus dem Zimmer zu entkommen, hätte er sie am Hals gepackt und so stark gewürgt, dass sie kaum Luft bekam, sie auf sein Bett geworfen, mit Handschellen gefesselt und ihr die Schamhaare wegrasiert. Dann hätte er eine Videokamera aufgestellt und gefilmt, wie er einen Finger in ihre Scheide einführte. Schließlich hätte er sich ausgezogen und wäre in sie eingedrungen. Auch das hätte er mit der Videokamera aufgenommen. Sie hätte damals den Eindruck gehabt, dass er ihre Angst und ihre Qualen am meisten genoss. Danach sei sie von ihm noch dazu gezwungen worden, nackt in der Küche den Abwasch zu machen: Wie eine Sklavin sei sie sich dabei vorgekommen. Am nächsten Morgen hätte er sie nach Hause gefahren und ihr gedroht, er werde die Videokassette ihren Eltern schicken, wenn sie nicht so wolle wie er.
Ich las Anton Alice’ Aussagen vor. Auch danach konnte er sich an Einzelheiten nicht mehr erinnern. Der Gedanke, sie zu filmen, sei ihm gekommen, weil er kurz zuvor zufällig auf ein Video seines Vaters gestoßen sei, auf dem dieser eine Partnerin gefesselt und mit der Peitsche geschlagen hätte. Alice sei das erste Mädchen gewesen, mit dem er geschlafen hätte, er hätte wohl alles so machen wollen wie sein Vater.
Antons darauf folgende Frauen- und Bettgeschichten zeichneten sich durch eine bemitleidenswerte Ärmlichkeit aus. Bei der Hauptverhandlung hatte ich Gelegenheit, die meisten seiner späteren Sexpartnerinnen zu sehen: alles eher unscheinbare, reizlose junge Frauen, die er mit Geschenken überhäufte, für die er Besorgungen erledigte und Reparaturen vornahm und die ihn zur Belohnung auch einige Male in ihr Bett ließen. Mehr als fünf- oder sechsmal hatte er mit keiner von ihnen geschlafen. Nach einem halben Jahr war eine solche Geschichte spätestens zu Ende. Anton war der Auffassung, die Frauen verließen ihn, weil er beim Geschlechtsverkehr zu schnell, schon nach einer Minute oder zwei »abspritze«, also an einer Ejaculatio praecox leide.
Nora Windfuß sei, sagte Anton mir, ein ganz anderes Kaliber gewesen. Sie wurde in dem Prozess auch von den Zeugen, die sie kannten, als temperamentvoll, lebensfroh und kumpelhaft geschildert. Er hätte sie übers Internet kennen gelernt. Schon dass sie Bademeisterin in einem Schwimmbad war, hätte sein Interesse an ihr geweckt: Meist seien das hübsche Mädchen. Als er sie zum ersten Mal gesehen hätte, groß, schlank, ihren langen blonden Haaren und mit ansprechenden Rundungen an den richtigen Stellen, sei er gleich »hin und weg« gewesen. Am ersten Abend hätten sie sich nur gestreichelt und er hätte sie »massiert«, am zweiten hätten sie dann »ganz normal« miteinander geschlafen. Das hätte sich vier- oder fünfmal, immer nur an Wochenenden, wiederholt. Nach der ersten Liebesnacht hätte Nora ihm eine SMS geschickt, um ihm zu sagen, wie schön es für sie gewesen war. Bei näherer Befragung stellte sich freilich heraus, dass sie sich nach dem ersten Beischlaf gleich angezogen hatte und nach Hause gefahren war; die SMS schien eher eine Art Trostpflaster gewesen zu sein. Wenige Monate später, auf Antons Geburtstagsfeier, kam es zur Trennung: Nora ging nach diesem Fest mit einem anderen jungen Mann, den sie dort kennen gelernt hatte, nach Hause und verlobte sich bald darauf auch mit ihm. Nach einigen Monaten fand auch Anton eine neue Freundin, Tamara, eine junge Frau, die von dem Mann, von dem sie schwanger war, verlassen worden war. Auch mit ihr hatte er »drei- oder viermal« geschlafen, und er hoffte, dass sie einwilligen würde, mit ihm zusammenzuleben.
Am Nachmittag vor ihrer Ermordung hatte Nora telefonisch bei Anton ihren Besuch für den Abend angekündigt: Sie wollte ihm ihr Herz und ihren Kummer mit ihrem Verlobten ausschütten. Natürlich hatte Anton sich daraufhin Hoffnungen gemacht, wieder mit ihr schlafen zu können. Als sie kam, war Antons Bruder, der im gleichen, väterlichen Haus wohnte, gerade bei ihm. Anton sagte, und das wurde vom Bruder im Prozess auch bestätigt, dass Nora, gleich als sie die Wohnung betrat, ihren Rucksack auf »ihre« frühere Betthälfte warf. Danach hätten sie zu dritt gegessen und etwas Musik gehört, bis der Bruder zu sich hochgegangen sei.
Die Schilderung dessen, was sich daraufhin abgespielt hat, beruht allein auf Antons Angaben. Nora soll sich im Badezimmer für die Nacht umgezogen und sich im
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