Das Unglück der kleinen Giftmischerin
Deutschland seinen Hauptschulabschluss zu machen, seine unzureichenden Deutschkenntnisse verhinderten das, obwohl er, wie sich bei der psychologischen Testuntersuchung herausstellte, mit einem Handlungs-IQ von 109, was seine intellektuelle Ausstattung anging, beträchtlich über seinem Altersdurchschnitt lag. Auch im Berufsvorbereitungsjahr, in dem er ausschließlich mit Russlanddeutschen in einer Klasse war, kam er nicht zurecht. Weil er häufig zu spät kam und manchmal den Unterricht störte, flog er schließlich heraus. Zur Tatzeit war er arbeitslos, ohne Freundin, ohne nähere Freunde. Er vertrieb sich seine Zeit und verdiente sich auch Geld damit, dass er seinen entfernten Cousin Nikolai Schuster auf dessen Drogenverkaufstouren begleitete, um diesen vor etwaigen Angriffen unzufriedener Heroinkonsumenten zu schützen. Wie Nikolai nahm er selbst keine Drogen, anders als fast alle seiner Mitangeklagten, die er als Klienten Schusters kennen gelernt hatte. Zu irgendwelchen außergewöhnlichen Ereignissen, die ihm Kummer oder Sorgen gemacht hätten, sei es in den Monaten vor der Tat nicht gekommen.
Eugens Tatschilderung unterschied sich zwar nicht wesentlich von den Aussagen, die er und seine Mitangeklagten bei ihren polizeilichen Vernehmungen gemacht hatten, enthielt aber doch einige belangvolle Ergänzungen. Er sei mittags von Nikolai angerufen worden, um bei einer von diesem beabsichtigten »Abreibung« Trabandts behilflich zu sein. Trabandt sei nämlich während der letzten Nacht in die Wohnung von Schusters Eltern eingebrochen und hätte diese bedroht. Da Nikolai bereits vor vier Wochen von Trabandt durch einen Messerstich leicht verletzt worden war und dieser trotz zweier Strafanzeigen Nikolais von der Polizei unbehelligt geblieben war, sei ihnen nichts anderes übrig geblieben, als die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Eugen behauptete auch mir gegenüber nicht zu wissen, weshalb Trabandt und Nikolai in einen so gewalttätigen Streit geraten waren und ob es dabei um Drogengeschäfte gegangen war. Nikolai hätte ihn am Nachmittag abgeholt, sie seien zum Marktplatz, ihrem üblichen Treffpunkt gefahren, wo die an-
deren sechs zu ihnen stießen und wo sich bald danach auch Trabandt einfand. Auch er war von Nikolai dorthin bestellt worden, mit der Begründung, sie sollten doch versuchen, den Streit beizulegen. Gleich nach seiner Ankunft hätte Nikolai ihn aber wütend beschimpft und ihm Prügel angekündigt. Auf meine Frage, weshalb Trabandt denn aus freien Stücken in Nikolais Wagen eingestiegen sei, erwiderte Eugen, der hätte gewusst, dass er ihnen nicht jedes Mal davonlaufen könne, also hätte er das Unausweichliche wohl hinter sich bringen wollen. Ich hatte den Eindruck, dass hier ein rituelles Strafgericht abgelaufen war, dessen Urteil Trabandt sich in der Hoffnung, damit sei die Sache erledigt, zunächst unterworfen hatte. Aber im Auto war er dann an Knöcheln und Handgelenken gefesselt und dazu noch geknebelt worden, womit er nicht gerechnet hatte. Als Nikolai ihm am Zielort, dem Badesee, den Knebel, aber nicht die Fesseln abnahm, hätte er sie alle nicht nur beleidigt, sondern auch damit gedroht, er und seine Freunde würden sie und ihre ganzen Familien umbringen. Erst daraufhin hätte Nikolai befohlen, Trabandt in das in Ufernähe noch ziemlich flache Wasser zu werfen, und als er nicht unterging, mit Steinen, die am Ufer lagen, nach seinem Kopf zu zielen. Ich wusste, dass die anderen Tatbeteiligten behaupteten, es seien Nikolai und Eugen gewesen, die Trabandt ins Wasser geworfen hätten. Ihnen zufolge kam Eugen Nikolais Anordnung, Trabandt zu steinigen, sofort nach. Überhaupt erschien Eugen in diesen Vernehmungsprotokollen als Nikolais willigster Helfer. Mir gegenüber stritt Eugen dies alles ab. Er hätte nur ein Mal, auf Nikolais Zuruf, Buratzki einen Stein gereicht, und dieser hätte sein Ziel, Trabandts Kopf, verfehlt. Auf die Frage, warum er Nikolais Anordnungen auch dann noch Folge geleistet hätte, als ihm klar war, Trabandt sollte nicht nur verprügelt, sondern umgebracht werden, erwiderte er, er hätte, als er sah, was mit Trabandt geschah, gefürchtet, das nächste Opfer zu werden, wenn er sich weigere. Nur beim Verscharren der Leiche hätte er halbwegs aus freien Stücken mitgeholfen, in der Hoffnung, danach diesen schrecklichen Ort verlassen zu können.
Nach der Tat begann er ein Berufsgrundschuljahr, schloss dieses aber auch nicht ab. Ein Jahr später heiratete er ein aus Omsk
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