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Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Titel: Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Puljic
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Erzählung fügten sich dabei immer neue brisante Details hinzu. Nur Rellan war auffallend schweigsam, aber das wunderte eigentlich niemanden. Für das Verhalten seines großen Bruders hätte sich jeder geschämt.
    Als Atlan in der Krankenstation wieder zu sich kam, hatte man Ramin bereits für angebliche Lüsternheiten im Zusammenhang mit seinen Novizen suspendiert – was bedeutete, dass er ohne viel nachzufragen vor die Tür gesetzt worden war.
    Drei Tage später wurde Atlan aus der Krankenstation entlassen und mitsamt seinen Sachen direkt vor Meister Ektors Gebetsstätte abgesetzt. Er bedauerte es nicht. Nach dem Verrat seiner Brüder gab es nichts mehr in der Abtei, für das es sich gelohnt hätte, zu bleiben.
     
    Allen Novizen war in der Abtei eine harte Kindheit beschieden, aber für Atlan war es besonders das zu rasche Erwachsenwerden, das sein Leben prägte. Er war gerade sechzehn geworden, als Meister Ektor dem Alter und der Krankheit erlag.
    Atlan selbst richtete die Bestattungszeremonie aus und sandte die sterblichen Überreste des Meisters auf seine letzte Reise ins Krematorium. Die Mitglieder der kleinen, aber beständig wachsenden Gruppe, die das Gebetshaus aufsuchten, wandten sich wie selbstverständlich an den Jungen, den sie an der Seite des Priesters hatten aufwachsen sehen. Von ihm erhielten sie die gleichen Ratschläge und Trostworte, die sie auch zu dem alten Priester hatten aufsehen lassen.
    Niemand stellte den schlanken jungen Mann in Frage, der in blaue Roben gehüllt Predigten hielt und Arme speiste. Für seine Schützlinge spielte es keine Rolle, dass er seine Priesterweihe noch nicht erhalten hatte. In ihren Augen war er jedem anderen Priester oder Meister ebenbürtig.
     
    Es stellte sich als schwieriger heraus als gedacht, etwas über die beiden merkwürdigen Gestalten aus der Metro zu erfahren. Niemand aus Nioves Umfeld wusste etwas – vielleicht wollten sie es aber auch nur nicht zugeben. Selbst Nachforschungen in den Daten, die sie im Haus ihres Vaters finden konnte, brachten sie nicht näher an ein Ziel.
    Schließlich begann sie, systematisch Leute auf der Straße und in den dortigen Läden anzusprechen. Hier war das Ergebnis zwiegespalten. In den besseren Geschäften sah man sie verständnislos an, die wenigen optimierten Passanten, die sie traf, zuckten nur mit den Schultern oder ignorierten sie völlig. Versuchte sie dagegen, Natürliche anzusprechen, ergriffen diese meistens mit ziemlich verstörtem Gesichtsausdruck die Flucht. Erst als sie sich in die abgelegeneren Gassen begab und dort ihr Glück versuchte, erhielt sie einen Anhaltspunkt.
    Sie spendierte einer in sich zusammengesunkenen, älteren Frau den Laib aus grauem Brot, den sie mit hungrigen Augen durch die Schaufensterscheibe hindurch angestarrt hatte. Misstrauisch nahm die Frau ihn entgegen, dann begann sie, ihn mit großen Bissen hinunterzuschlingen, als hätte sie Angst, Niove könnte ihre Handlung bereuen und ihr das Brot wieder wegnehmen.
    Während sie kaute, nickte sie Niove dankbar zu. Nuschelnd, um beim Sprechen kein Stückchen der kostbaren Nahrung auszuspucken, stieß sie hervor: „Du bist ein gutes Kind, dass du dich so um eine arme Frau wie mich kümmerst. Das kennt man gar nicht von solchen wie dir.“
    Wo Niove früher nur die Beleidigung gehört hätte, ließen sie die Erkenntnisse, die sie im N4-Center erhalten hatte, nun das Kompliment sehen. Sie lächelte der Frau zu und nutzte ihre Chance.
    „Der Mensch ist perfekt, wie er geschaffen wurde“, zitierte sie.
    Die Alte hielt im Kauen inne. Für einen kurzen Moment kroch das Misstrauen zurück in ihre Augen. Doch dann beschloss sie scheinbar, dass Niove ihre Aussage ernst meinte.
    „Da hast du Recht, Kind. Wer hat dir das gesagt?“
    „Ein Mann in schwarzer Robe – kennst du ihn?“ Hoffnung glomm in Niove auf, doch die Frau schüttelte den Kopf.
    „Es gibt viele von ihnen, den Priestern. Sie helfen, wenn alles zu Ende geht.“
    Geduldig erklärte sie dem Mädchen den Weg zu einer der Glaubensstätten. Sie lächelte, als sie zum Dank einen Kuss auf die faltige Wange gedrückt bekam. Vielleicht war das Ende doch noch nicht so nah.
     
    Es erstaunte Niove zu entdecken, dass es einen Glauben gab, der scheinbar über die gesamte Stadt vernetzt war. Sobald sie die Gebetsstätte erreichte, erkannte sie das Symbol, das dort an der Tür prangte – drei Augen in einer Pyramide, zwei geschlossen und eines offen. Sie hatte es bei ihren Streifzügen schon

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