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Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Titel: Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Puljic
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der gestrigen Euphorie nur noch eine unterschwellige Zufriedenheit geblieben, doch selbst diese schien ihm jeden Handgriff zu erleichtern. So schnell war der Tag für ihn noch nie vergangen. In Gedanken gestaltete er bereits ihre neue Zukunft, während er seine Arbeit erledigte. Seine Aufgabe war eintönig und nach Jahren der Schufterei konnte er sie ohne nachzudenken verrichten.
    Er hatte ein Lächeln auf den Lippen, als die am Vortag notdürftig geflickte Einfassung der Maschine nachgab und der schwere Stahlklotz darauf sich löste. Die Arbeit konnte er blind erledigen, aber die mangelnde Aufmerksamkeit war es, die Harons Reaktion um die entscheidende Sekunde verzögerte.
    Der Metallquader traf seinen Oberarm und glitt daran herab, bevor er donnernd auf den Boden aufschlug. Der Aufprall riss Haron hart zu Boden, aus einem Reflex heraus versuchte er jedoch sofort, wieder aufzuspringen. Dabei hatte er allerdings nicht bemerkt, dass seine linke Hand unter dem Stahlbrocken lag.
    Das tonnenschwere Gewicht hatte Fleisch und Knochen zermalmt. Durch Harons Bewegung löste sich nun der großteils noch intakte Unterarm von den traurigen Überresten seiner Hand.
    Immer noch vom Schock betäubt, starrte Haron seinen leblosen, zerfetzten Arm und das abrupte Ende daran an. Er fühlte keinen Schmerz, auch dann nicht, als die Arbeiter ihn vom Unfallort wegzerrten und jemand mit groben Verbänden versuchte, die Blutung zu stillen. Erst als er den blutdurchtränkten Stumpf sah und realisierte, was das bedeutete, schwappte der Schmerz in heißen Wogen über ihm zusammen.
    Er schrie, bis seine Lungen brannten, ohne dass er hätte sagen können, ob es aufgrund der körperlichen oder der seelischen Qual war, die er durchlitt.
     
    Das Zeitgefühl war Haron abhandengekommen. Wie lange er schon in dem nach Desinfektionsmitteln stinkenden, ehemals weiß gehaltenen Raum lag, wusste er nicht. Vielleicht Tage, vielleicht auch schon Wochen oder Monate. Die Patienten, mit denen er das Zimmer teilte, hatten zwischendurch gewechselt. Ein kleiner Mann mit nächtlichen Panikattacken hatte die weinende Frau abgelöst, ein verängstigtes Kind den Choleriker, der eine der Schwestern gebissen hatte.
    Sianna war gekommen und wieder gegangen, hatte ihm gestanden, dass sie die Karte des N4-Centers eingetauscht hatte, um seine Krankenhausrechnung zu bezahlen. Haron hatte genickt und in ihren Augen gelesen, dass sie ebenso wie er selbst wusste, dass es trotzdem nicht reichen würde.
    Und ein Blick auf seinen nutzlos gewordenen Arm genügte, um ihm klar zu machen, dass er nie wieder in der Lage sein würde, in einer der Fabriken eine Arbeit zu finden. Der Metallklotz hatte sein Schultergelenk zertrümmert, war den Arm entlang geschrammt und hatte dabei Fleisch und Nerven gleichermaßen abgeschabt. Er konnte den Arm noch bewegen, aber die Kraft würde nie zurückkehren. Ebenso wenig wie seine Hand.
    Es wäre besser gewesen, wenn der Quader ihn ganz erschlagen hätte. Sianna hätte eine kleine Abfindung bekommen. Sie hätte nur sich selbst erhalten müssen und wäre frei gewesen, ihre Familie mit einem anderen zu gründen.
    Stattdessen hatte sie nun einen Krüppel am Hals. Ihr Lohn alleine würde niemals ausreichen, um sie beide zu ernähren.
    Haron hatte das Schicksal von mehr als einem Angehörigen eines Unfallopfers mit ansehen müssen. Kriminalität und Bettelei waren noch die besseren Alternativen. Er würde auf keinen Fall zulassen, dass seine Sianna ihren Körper verkaufen musste, nur weil ihr Mann zum Invaliden geworden war.
    Als die Infusionen endlich begannen, allmählich weniger Schmerzmittel zu enthalten, konnte Haron sich nach und nach genug konzentrieren, um seine Lage zu überdenken.
    Er war niemand, der aufgab. Sich selbst als aussichtslosen Fall zu betrachten, widerstrebte ihm zutiefst, doch nüchtern betrachtet lief es darauf hinaus. Was also sollte er tun? Seinem Leben nachträglich das Ende bereiten, das es in der Fabrik hätte finden sollen?
    Euthanasie wäre wohl die angenehmste Methode. Er könnte die erforderliche Menge an Morphinen verlangen und würde einfach einschlafen. Aber er hasste es, auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Außerdem würde das Spital sogar diese Kosten in Rechnung stellen. Somit schied diese Möglichkeit ohnehin aus.
    Selbstmord hätte letztendlich denselben Effekt. Aber wenn er sich im Krankenhaus umbringen würde, wäre das Personal gezwungen, Hilfe zu leisten und wenn möglich sein Leben zu retten – was

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