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Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Titel: Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Puljic
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wurde.“
    Sein Blick fiel auf den Gekreuzigten und er fuhr mit trauriger Stimme fort. „Die Menschen hatten Angst vor den Dingen, zu denen er sie aufforderte. Angst davor, was die Machthabenden ihnen antun würden. Also verrieten sie ihn und ließen zu, dass er hingerichtet wurde.“
    Sie schwiegen lange, ehe Niove wieder das Wort ergriff. „Wenn Gott zuließ, dass sein eigenes Kind ermordet wurde – warum sollte es ihn kümmern, dass die Menschen das Gleiche mit ihren tun?“
    In Atlans Augen las sie dieselbe Furcht, die sie selbst empfand, und sie verstand, warum diese Lehre vergessen worden war. Es gab keine Hoffnung, Gott würde nicht wiederkommen. Er wartete nicht darauf, dass seine Schöpfung auf den rechten Weg zurückfand, sondern hatte sie längst aufgegeben.
    Sie fühlte sich in einen Strudel der Hoffnungslosigkeit gerissen, den sie sich selbst nicht erklären konnte. Die längste Zeit ihres Lebens hatte sie nichts von einem Gott gewusst, der angeblich über die Menschheit wachte und darauf wartete, dass sie auf den richtigen Weg zurückfand.
    Aber in dieser kurzen Zeit hatte sie die Macht des Glaubens in den Gesichtern der Betenden gesehen, hatte am eigenen Leib gespürt, wie dieser Funke Menschen aneinander binden und stärken konnte. Jetzt die Vergeblichkeit hinter allem Hoffen zu erkennen, schmerzte in ihrer Brust.
    Eine leichte Berührung ließ sie aus ihren trüben Gedanken schrecken. Atlan hatte einen Finger sacht an ihren Handrücken gelegt und hielt ihr mit der freien Hand eine Scheibe Brot hin, die mit Wurst und Käse belegt war. Sie vermutete, dass beides nur Imitate waren, was sie einen Augenblick lang zögern ließ. Trotz aller Ausflüge hatte sie bisher davor zurückgescheut, sich auf die Nahrung der Arbeiterschicht einzulassen.
    Hunger und Tarnung verlangten jedoch, dass sie herzhaft hineinbiss. Der Geschmack war schwach und die Konsistenz der drei Dinge fast nicht zu unterscheiden, aber nachdem sie den Schritt einmal gewagt hatte, verschlang sie diese neue Erfahrung gierig.
    Atlan lachte, als sie in ihrer Hast ein Stück in die Luftröhre bekam und hustete und spuckte, bis er Erbarmen zeigte und ihr auf den Rücken klopfte. Sie streckte ihre Zunge in seine Richtung – und stellte überrascht fest, dass sie zum ersten Mal seit undenkbaren Zeiten wieder unbekümmert lachen konnte wie ein Kind, als er mit derselben Grimasse antwortete.
    Dabei waren selbst die Zankereien mit ihren Brüdern in gewisser Weise immer ein Konkurrenzkampf gewesen, ein Machtkampf um die besten Ergebnisse, die meiste Aufmerksamkeit und Ähnliches. Zufrieden verputzte sie den Rest ihres Brotes. Atlan hob die Augenbrauen und deutete auf einen Korb, der neben weiteren Brotstücken auch zwei leicht verschrumpelte Äpfel enthielt.
    Nach kurzem Überlegen griff sie nach dem Brot. Obst war kostbar, und so sehr sie es auch wollte, konnte sie sich nicht dafür revanchieren. Um ihre Konversation wieder aufzunehmen, fragte sie kauend: „Wenn diese Lehre von Gottes Sohn vergessen ist, wie kommt es, dass du schon so früh davon gewusst hast?“
    Sie konnte das Zögern in seiner Mimik deutlich ablesen, offensichtlich war das kein Thema, über das man leichtfertig sprach. Es überraschte Niove, als er schließlich doch antwortete, mit den Fingern die Textur der Tischoberfläche nachzeichnend.
    „Eines Tages bin ich im Kloster auf ein Buch gestoßen. Ich konnte kein Wort davon lesen, aber einer der Priester hat mich heimlich unterrichtet. Er … Er half mir, an das Gute im Menschen und in Gott zu glauben. Wäre er nicht gewesen, wäre ich ebenso leer und verbittert geworden wie die meisten der anderen Adepten und Priester. Seru hat es gut verstanden, seinen Schülern jede Hoffnung auszuprügeln.“
    Seine Hand hatte sich bei diesen Worten um die Tischkante verkrampft. Er hatte einige Mühe, sie wieder zu entspannen, als er sich dessen bewusst wurde. Niove zog währenddessen ihre Schlüsse.
    „Seru war der Priester, der dich gestern geweiht hat?“
    Er nickte, die Hände nun ineinander verschlungen in den Schoß gelegt. Sie sah, wie sehr er um Fassung kämpfte, und wünschte sich, sie hätte die Kapitel über Psychologie nicht so vorschnell als unnütz abgetan. Ein Manko, das sie beheben würde, sobald sie zu Hause war.
    In Ermangelung einer besseren Taktik versuchte sie, ihn zu dem Thema zurückzuführen, das ihm scheinbar viel bedeutete.
    „Atlan, hast du dieses Buch noch?“ Als er aufsah, blickte er ihr wieder direkt in die

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