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Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Titel: Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Puljic
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Augen, statt wie kurz zuvor noch durch sie hindurch. Da wusste sie, dass sie instinktiv richtig gehandelt hatte. „Würdest du es mir einmal zeigen? Ich habe noch nie ein echtes Buch gesehen.“ Selbst die sogenannte Bibliothek ihres Vaters bestand nur noch aus virtuellen Datenträgern.
    Ein wenig wankend erhob er sich und verschwand in einem der angrenzenden Räume, wo sie ihn rumoren hörte. Es klang, als würden Möbelstücke verschoben, Türen geöffnet und Schränke durchwühlt. Nach wenigen Minuten war er wieder zurück, in seiner Hand ein kleines, schwarzes Rechteck, das an den Ecken abgegriffen und am Rücken notdürftig geklebt war. Nach kurzem Zaudern hielt er es ihr hin, sodass sie es mit gebührendem Respekt entgegennehmen konnte.
    Ihre Finger folgten dem eingeprägten Muster und zeichneten die verschlungenen Buchstaben nach. Vorsichtig blätterte sie in den vergilbten Seiten, erkannte einige der Darstellungen aus Atlans Wandmalerei und kniff die Augen zusammen, um die winzige, teilweise verschmierte Schrift zu entziffern.
    „Ich bin das Licht der Welt …“, las sie – und begriff im gleichen Moment, dass sie es laut ausgesprochen hatte. Sie brauchte nicht Atlans entsetztem Blick zu sehen, um zu wissen, dass sie sich soeben verraten hatte.
    Die altmodischen, verschlungenen Buchstaben unterschieden sich stark von den klaren Schriftzeichen, die heutzutage verwendet wurden, und selbst diese konnten nur wenige Angehörige der Unterschicht lesen.
    Langsam, um ihn nicht zu einer unbedachten Handlung aufzufordern, legte sie das Buch auf den Tisch.
    „Wo hast du gelernt, diese Schrift zu lesen?“
    „Mein Vater hat es mir beigebracht.“ Niove verfluchte das leise Zittern, das die Ruhe in ihrer Stimme Lügen strafte. Sie wünschte, sie hätte sich nicht in seine Wohnräume locken lassen. Aus dem Gebetsraum wäre ihr eine Flucht sicher gelungen, aber von hier? Sie konnte bereits den ersten Hauch einer Panik in sich hochsteigen fühlen.
    „Dein Vater?“ Ein ungläubiges Schnauben entfuhr ihm. „Hast du denn wirklich einen Vater, eine Familie? Ich glaube nicht, dass du aus den Arbeitsvierteln kommst. Also wer bist du?“
    „Meinen Namen kennst du, Atlan.“ Allmählich bekam sie ihre Angst unter Kontrolle. Immerhin schien er sie nicht sofort erschlagen zu wollen – und trotz seiner sanften Art traute sie ihm das durchaus zu. Die harte Arbeit in der Gebetsstätte hatten seinen Körperbau zwar nicht gerade bullig, aber doch sehnig und eindeutig kräftig gemacht.
    „Du bist einer von ihnen, nicht wahr? Ein Klon.“ Die Erkenntnis schien Atlan seines Kampfwillens zu berauben. „Wieso bist du hier, was willst du?“
    Dieselbe Resignation, die in Atlan schwelte, hatte auch Niove ergriffen. Eine einzelne Träne bahnte sich ihren Weg über ihre Wange. Sie verlor gerade den einzigen Ort, an dem sie sich nützlich gefühlt hatte, nachdem sie in den Krankenhäusern abgewiesen worden war. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, als sie ihm antwortete.
    „Ich habe dir gesagt, warum ich hier bin. Ich wollte nur helfen, Atlan, das war alles. Es tut mir leid.“
    Sie wollte sich an ihm vorbei zur Tür schieben, doch er hielt sie mit einer Handbewegung auf, ohne sie zu berühren.
    „Niove. Setz dich. Bitte “, fügte er hinzu, als sie sich unwillkürlich anspannte. Er trat einen Schritt zurück und wartete, bis sie Platz genommen hatte. Dann wandte er sich um und begann, in einem der Schränke herumzusuchen. Schließlich brachte er eine dubios aussehende Flasche zum Vorschein und stellte sie auf den Tisch, bevor er sich wieder auf den Stuhl ihr gegenüber sinken ließ.
    Er sah ihr in die Augen und entkorkte die Flasche. „Für dieses Gespräch brauche ich definitiv etwas Stärkeres als Tee.“ Damit prostete er Niove zu und setzte die Flasche an die Lippen.
     
    „Beginnen wir am Anfang“, sagte Atlan, währe nd er die zwei aus den Untiefen eines Schrankes geborgenen Schnapsgläser von neuem füllte. Sein verstorbener Meister hatte gerne mit Gästen getrunken, aber Niove argwöhnte, dass der Meister seinen Adepten ebenfalls daran hatte teilhaben lassen, denn Atlan vertrug das im Hals brennende Zeug eindeutig besser als sie.
    „Du bist also ein Klon.“ Die Tatsache schien nicht leichter verdaulich zu werden, indem er sie öfter aussprach.
    Sie nahm einen weiteren Schluck und versuchte, das Husten zu unterdrücken, das in ihrer Kehle kitzelte. „Nur zum Teil.“
    „Wie ist man denn bitte nur zum Teil ein

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