Das unheimliche Haus
hinüberschlendern und durch die Eisenstäbe gucken? Den Maxen war alles zuzutrauen.
Er wollte sich tatsächlich schon in Bewegung setzen. Aber im letzten Augenblick behielt er dann doch einen klaren Kopf.
»Du bist wohl von allen guten Geistern verlassen«, beschimpfte er sich selbst und stapfte, ohne sich noch einmal umzudrehen, in den väterlichen Friseursalon zurück.
Herr Sperling träumt von Eisbären
Das Telefon läutete am Abend.
Über Berlin war der Himmel wieder wolkenlos, das Gewitter hatte sich verzogen.
»Sind Sie reisefertig?« fragte die Stimme von Herrn Sperling.
»Moment mal, Sie sagten, daß ich meine Koffer gelegentlich packen soll«, erwiderte Hugo Stielicke. »Gelegentlich, das bedeutet: irgendwann.«
»Ich hab’ aber auch gesagt, daß es schon sehr bald soweit sein könnte«, unterbrach ihn Sperling. »Und jetzt haben wir den Salat, morgen früh geht’s los.«
»Eigentlich wollte ich vor einer halben Stunde ins Kino«, meinte der Mann am Telefon in der Pension Flora. »Ihr Glück, daß Sie mich überhaupt erreicht haben.«
»Dann hätte ich Sie eben mitten in der Nacht aus dem Bett geklingelt«, entgegnete der Dicke am anderen Ende der Leitung und kicherte. »So ist es angenehmer für Sie.« Es hörte sich an, als würde er einen Schluck aus einem Glas oder einer Tasse nehmen.
»Wir fahren übrigens im Wagen. Unser Chef hat was gegen Flugzeuge. Um acht Uhr hole ich Sie ab. Noch eine Frage?«
»Wohin geht die Reise?« fragte Stielicke. »Ich will nicht neugierig sein, aber wenn es beispielsweise zu den Eskimos geht, müßte ich noch einen Pelz und Ohrenwärmer besorgen, und für Afrika oder Indien hätte ich mich gern gegen Malaria impfen lassen.«
»Sie sind ein Komiker«, kicherte Sperling wieder. »Aber beruhigen Sie sich, wir bleiben im Lande. Mehr darf ich Ihnen allerdings nicht verraten. Noch einen wunderschönen guten Abend.«
»Danke, dito«, meinte Hugo Stielicke und legte auf.
Am nächsten Morgen stand der dicke Mann mit der rötlichen Gesichtsfarbe auf die Minute pünktlich um acht Uhr im schmalen Korridor der Pension. Er hatte seinen blendend sitzenden Anzug vom Vortag samt der auffallend bunten Krawatte im Kleiderschrank gelassen oder in einen Koffer gepackt. Jedenfalls trug er heute eine hellgraue Flanellhose, ein offenes Freizeithemd und eine leichte Leinenjacke. Er hatte Schweißperlen auf der Stirn, die er beim Hereinkommen mit einem Taschentuch wegwischte. »Schon wieder eine Hitze wie in einem Backofen«, bemerkte er.
Direkt neben dem Hauseingang parkte ein Wohnmobil auf der Straße. Mit seinem vorgeschobenen Dach, das weit über die Fahrerkabine hinausragte, erinnerte das Ding im ersten Augenblick an einen Panzer. Aber da es zur einen Hälfte himmelblau und zur anderen Hälfte schneeweiß lackiert war, wirkte es doch halbwegs freundlich.
»Warum fahren wir nicht ganz einfach per Eisenbahn?« fragte Stielicke, während Sperling seine Koffer im Gepäckraum verstaute. »Das da ist jedenfalls ein äußerst merkwürdiges Transportmittel.«
»Entschuldigung, wenn ich anderer Meinung bin«, widersprach der Dicke. Er hatte inzwischen seine Leinenjacke ausgezogen und wischte sich wieder einmal den Schweiß von der Stirn. »Wir reisen als harmlose Touristen, die Spaß am Camping haben. Das ist doch eine ganz fabelhafte Tarnung.« Er verschloß die Klappe des Gepäckraums mit einem Fußtritt und öffnete die Wohnmobiltür. »Alles stimmt, paßt und hat Luft.«
Tatsächlich war im Inneren des Wagens der Kühlschrank mit Getränken und verschiedenen Konservenbüchsen gefüllt, die zwei Betten waren frisch überzogen, in den schmalen Einbauschränken hingen Anzüge, Unterwäsche, Hemden und Socken lagen in den Schubladen, das Radio spielte, und an der Längsseite mit Wandbank, Tisch und Elektroherd lagen zwei perfekte Ausrüstungen zum Angeln.
»Petri Heil«, kicherte der Nonstoplächler. »Was sagen Sie jetzt? Ist doch an alles gedacht?«
»Ich bin überwältigt«, meinte Stielicke trocken.
»Ihre Begeisterung hält sich in Grenzen«, erwiderte Sperling eingeschnappt. »Dabei haben wir es hier so feudal wie in einem Salonwagen.«
Es sollte nicht mehr allzu lange dauern, bis Stielicke dahinterkam, weshalb ihn der Dicke nicht mit einem ganz gewöhnlichen Auto abgeholt hatte. Die angeblich fabelhafte Tarnung war nur eine faule Ausrede.
Frau Schiemann winkte zum Abschied noch mit einem Küchenhandtuch aus dem Fenster, bis das blau-weiße Wohnmobil hinter einem
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