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Das unheimliche Haus

Das unheimliche Haus

Titel: Das unheimliche Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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wiederholte der Studienrat, als die Klasse allmählich wieder ruhig wurde. »Aber ich habe für eure Anteilnahme am Schicksal eines Mitschülers durchaus Verständnis.«
    Die 9 b scharrte unter den Tischen mit den Schuhen.
    »Und da wir uns jetzt wieder vernünftig unterhalten können«, fuhr Dr. Purzer fort, »ist es mir vielleicht erlaubt, das zu sagen, was ich andeuten wollte, als mich euer Freudentaumel unterbrochen hat?«
    Die Klasse hockte wieder still und aufmerksam hinter ihren "Fischen.
    »Deine Versetzung sei vermutlich so gut wie sicher, habe ich gesagt«, erklärte Dr. Purzer in die Richtung von Manuel Kohl. »Ich hatte noch hinzugefügt >allerdings<, aber dann habt ihr mich am Weitersprechen gehindert.« Er senkte den Kopf ein wenig und blickte über den Rand seiner Brille. »Nun, was ich noch anmerken wollte, ist dies: Allerdings hat mich deine unerwartete Leistungssteigerung neugierig gemacht. Verständlich, oder?« Er griff nach dem Heft, das vor ihm lag, und blätterte es auf. »Im Vergleich zu deinen früheren Arbeiten ist das Schriftbild merkwürdig flüchtig. Es läßt eine gewisse Erregung vermuten.«
    »Schließlich ging’s ja auch um die Wurst«, bemerkte Emil Langhans leise und katzenfreundlich. »Sie selbst haben von einem Drahtseilakt gesprochen, Herr Studienrat. So was kann einem schier die Leber zerquetschen.«
    »Schon, schon«, gab Dr. Purzer zu. »Aber woher kommt plötzlich diese mathematische Erleuchtung?«
    »Er hat in den vergangenen Wochen wie ein Wahnsinniger gepaukt«, erklärte Karlchen Kubatz. »Das weiß ich, weil ich dabei war.«
    »Soll das bedeuten, du hast ihm Nachhilfe gegeben ? «
    »Nicht nur ich.«
    »Sieh mal an«, sagte Dr. Purzer. »Wer noch?«
    »Ein junger Lehrer, der noch keine Stellung gefunden hat.« Endlich machte auch Manuel Kohl den Mund auf. Und das stimmte wirklich. Seine Eltern hatten schon vor zwei Monaten in ihrem Blumenladen von einem arbeitslosen jungen Lehrer erfahren, den sie dann aufgetrieben und für ihren Sohn stundenweise engagiert hatten. Inzwischen gehörte er schon so gut wie zur Kohlschen Familie.
    Dr. Purzer hatte wieder einmal sein undurchsichtiges Buddhalächeln angeknipst. »Das muß ein außerordentlich fähiger Kollege sein«, bemerkte er, und es war nicht klar, ob er von dem, was er sagte, auch überzeugt war. »Jedenfalls wäre ihm möglichst bald eine Anstellung zu wünschen.« Er wanderte mit Manuels Heft zur Fensterreihe hinüber und legte es vor dem Jungen mit der Stupsnase auf den Tisch. Einen Augenblick zögerte er, aber dann zitierte er wieder einmal aus dem Handgelenk. »Aufs Ungehoffte war ich nicht bereitet...?« Er hob den Kopf und blickte erwartungsvoll in die Klasse.
    »Lessing?« fragte Hans Pigge unsicher.
    »Keinesfalls Schiller«, stellte Sputnik fest.
    »Johann Wolfgang Goethe«, erklärte der Studienrat. »Iphigenie auf Tauris.« Er blickte Manuel Kohl noch einmal eine ganze Weile tief in die Augen. »Erster Akt, dritte Szene, wenn ich mich recht erinnere.« Er machte eine überraschende Wendung und verfügte sich wieder zu seinem Tisch zurück.
    »Im Notfall ist es immer Goethe«, murmelte Karlchen.
    Emil Langhans und Sputnik hatten inzwischen die Köpfe zusammengesteckt.
    »Er hat ihn gefressen«, flüsterte der Lange, »den arbeitslosen Junglehrer, meine ich.«
    »Bin ich nicht so sicher«, tuschelte der andere.
    »Und wenn nicht?«
    »Dann ist halt ein Wunder geschehen, hat er ja selbst gesagt.«
    »Eben...«
    In diesem Moment klopfte es an die Tür. Gleich darauf trat Hausmeister Köppke in die Klasse und verkündete, daß der Oberstudiendirektor den Schüler Kubatz umgehend in seinem Büro erwarten würde.
    »Darf man fragen, was du ausgefressen hast?« erkundigte sich Dr. Purzer neugierig.
    »Keine Ahnung«, schwindelte der Junge mit dem Bürstenhaarschnitt.
    »Vielleicht geht es um die Einführung gewisser englischer Schulverhältnisse«, witzelte der Studienrat und fügte hinzu: »Das wäre vielleicht auch mal ein Thema für die Sonntagsausgabe der Bad Rittershuder Nachrichten, könnte ich mir denken.«
    »Gute Idee, ich werde es dem Chefredakteur der Zeitung gelegentlich vorschlagen.«
    »Für dich sollte sich eine solche Gelegenheit finden lassen«, meinte Dr. Purzer und grinste. »Und jetzt mach dich auf die Socken. Schuldirektoren können komisch werden, wenn man sie warten läßt.«
    Karlchen sprang auf, spurtete an dem Hausmeister vorbei durch die offengehaltene Tür, und der Studienrat rieb sich

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