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Das unheimliche Haus

Das unheimliche Haus

Titel: Das unheimliche Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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und das Stück mit verteilten Rollen lesen. Jeweils am Ende einer Stunde wurde ausgewechselt und die Besetzung für das nächste Mal bestimmt, damit sich die Betroffenen mit ihrem Text anfreunden konnten. Heute sollte Karlchen Kubatz der Herzog von Alba sein, Sputnik Don Carlos und Emil Langhans die Prinzessin von Eboli. Selbstverständlich hatte der Lange mit der dunklen Hornbrille gegen diese Rollenverteilung heftig protestiert und auf seinen permanenten Stimmbruch verwiesen, der beim besten Willen nicht dazu geeignet war, jenen weiblichen Liebreiz zu vermitteln, auf den die Eboli doch berechtigten Anspruch hätte.
    Aber Dr. Purzer hatte die Weigerung mit der Bemerkung abgeschmettert, daß es ja lediglich auf die Worte des Dichters ankäme und daß der Klang der Sprache für die Zwecke des Unterrichts belanglos sei.
    »Außerdem bin ich viel zu lang«, hatte Emil noch zu bedenken gegeben. »Einsneunundsiebzig.«
    »Wo hat Schiller vorgeschrieben, wie groß die Dame sein soll?« war Dr. Purzers knappe Antwort gewesen.
    Da hatte sich Emil Langhans dann mit seinem Schicksal abgefunden. »Armer Schiller, das kann ja heiter werden...«
    Deshalb versprach sich die 9 b von der heutigen Stunde einiges Vergnügen. Immerhin sollte im zweiten Akt die große Liebesszene zwischen dem spanischen Königssohn und der Prinzessin an die Reihe kommen.
    Aber soweit war es vorerst noch nicht.
    Bisher hatte Dr. Purzer den Stapel Hefte, die er beim Hereinkommen unter den Arm geklemmt hatte, geschickt hinter seiner braunen Ledermappe verborgen. Jetzt nahm er die Tasche zur Seite, und die Klasse erkannte im selben Augenblick ihre Aufsatzhefte.
    »Das kann doch nicht wahr sein«, flüsterte der große Junge, der sich kurz zuvor mit Sputnik noch einen Boxkampf geliefert hatte. »Sonst dauert es doch mindestens zwei Wochen, bis er die Dinger korrigiert hat.«
    »Da staunt ihr, was?« fragte Dr. Purzer beinahe im selben Augenblick. Er war dabei, seine Jacke auszuziehen, und benutzte dann den Stuhl hinter seinem Tisch als Kleiderbügel. »Ich muß um Nachsicht bitten«, meinte er und schmunzelte ein wenig, »aber wenn ich mich jetzt im Hemd präsentiere, dürfte die große Hitze ein ausreichender Entschuldigungsgrund sein.«
    »Genehmigt«, sagte die Stimme irgendeines Schülers, und die Klasse feixte.
    »Sehr freundlich«, bedankte sich der Studienrat. Er schien heute besonders gut aufgelegt zu sein. »Ich habe übrigens eine Überraschung«, gab er bekannt. »Sie wird euch nicht gerade Purzelbäume schlagen lassen, aber immerhin — « Er legte den Kopf auf die Seite und wartete einen Augenblick. »Aber zuerst zu euren Aufsätzen. Wie immer war es mir ein ausgesprochenes Vergnügen, dem Höhenflug eurer Gedanken folgen zu dürfen.« Er plazierte den Stapel der mitgebrachten Hefte zum Verteilen auf den Tisch vor Hans Pigge in der Mitte der ersten Reihe. »Leider wurde dieses Vergnügen zuweilen erheblich getrübt durch banale Schreibfehler und einen allzu großzügigen Umgang mit der Grammatik.«
    Als Emil Langhans sein Heft gereicht bekam, schlug er es auf, starrte eine Weile hinein und schüttelte verwundert den Kopf. »Wie find’ ich denn das?« murmelte er vor sich hin.
    »Wie bitte?« fragte Studienrat Dr. Purzer. Er hatte sich wieder hinter seinen Tisch gesetzt, während die Klasse in den verteilten Heften nach ihren Noten blätterte.
    »Wieso hat mein Aufsatz bloß eine Drei, Herr Studienrat?« fragte Emil zurück. Er war in Deutsch üblicherweise auf eine runde Eins abonniert, und schon eine Zwei hatte bei ihm Seltenheitswert.
    »Weil ich deinen Aufsatz dieses Mal mangelhaft finde«, antwortete Dr. Purzer. »Aber du scheinst anderer Meinung zu sein?«
    »Ja, bin ich.«
    »Leider ist es nun einmal so, daß Lehrer die Zensuren geben«, erwiderte der Studienrat und schmunzelte wieder. »Aber bitte, wir können uns die Meinung der Klasse anhören, wenn du willst. Lies deinen Aufsatz vor.«
    Emil überlegte nur kurz. »Nein danke. Ich schluck’ die Drei und verzichte aufs Vorlesen.« Er nahm seine Brille von der Nase, hielt sie gegen das Licht und prüfte ihre Gläser. »Ändern würde es ja sowieso nichts.« Er setzte seine Brille wieder auf. »Und vielleicht haben Sie sogar recht. Ich war möglicherweise zu weitschweifig, kann ja mal Vorkommen.«
    »Genau so ist es gewesen«, stellte der Studienrat fest.
    »Eigentlich muß es doch verdammt schwierig sein, einen Aufsatz zu beurteilen«, platzte Sputnik dazwischen. Er hatte vom Nachdenken

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