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Das unheimliche Haus

Das unheimliche Haus

Titel: Das unheimliche Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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Carlos« gefaßt.
    Aber der Studienrat griff nach seiner braunen Ledermappe und fingerte an ihrem Schloß herum. »Eigentlich wollte ich gestern abend ganz früh in die Klappe«, erzählte er dabei. »Ich dachte, einen langen Schlaf zu tun, denn dieser letzten Tage Quai war groß...«
    »Wallenstein«, bemerkte ein Junge, der in der zweiten Reihe dicht neben einem der offenen Fenster saß. »Etwas abgewandelt allerdings.«
    »Ganz ausgezeichnet«, stellte Dr. Purzer fest. »Fünfter Akt, fünfte Szene.« Er blickte in die Klasse. »Mein Vorsatz mit dem langen Schlafen ging leider in die Binsen. Diese Backofenhitze. Ich kriegte kein Auge zu.«
    »Es müßte endlich ein Gewitter kommen«, bemerkte Sputnik. »Auch wir haben kaum schlafen können.«
    »Nun, ich versuchte die berühmten Schafe zu zählen, was ja helfen soll. Leider funktionierte die Chose nicht. Genau bei Schaf Nummer einhundertzwölf warf ich die Bettdecke auf die Seite und gab’s auf. Aber weil ich mit meiner Zählerei nun schon mal halb beim Thema war, hab’ ich mich ans Korrigieren unserer gestrigen Klassenarbeit gemacht. Daß ich sie heute schon wieder zurückgeben kann, ist die angekündigte Überraschung. Da staunt ihr, was?« Er hatte inzwischen die Mathematikhefte der 9 b aus seiner dunkelbraunen Aktentasche herausgeholt und auf seinem Tisch ausgebreitet. Eins der Hefte behielt er allerdings in seiner linken Hand. Es war mit einem Zettel markiert, der durch eine Büroklammer am Deckel befestigt war.
    Die Glorreichen in der Klasse hielten den Atem an. Sie wagten nicht, sich zu rühren. Aber sie versuchten, gleichgültige Gesichter zu zeigen. Nur Manuel Kohl war kalkweiß geworden. Dr. Purzer hatte seine 9 b voll im Blick, auch wenn sich die Sonne in seiner Brille spiegelte und deshalb seine Augen nicht zu sehen waren. »Bitte zuzugreifen«, sagte er. Und das hörte sich so an, als würde er in einem Supermarkt Kostproben für eine neue Käsesorte anbieten. »Bedient euch.«
    Die Hefte waren im Handumdrehen verteilt, und wie zuvor bei den Aufsätzen blätterten die Schüler zuerst einmal bis zur letzten Seite ihrer Arbeit, um die Note zu erfahren, die sie kassiert hatten.
    »Eine Zwei«, stellte Sputnik befriedigt fest.
    »Doch noch eine Eins«, murmelte Karlchen Kubatz. »Mit Schönheitsfehlern allerdings.«
    Doch in Wirklichkeit spähten die Glorreichen Sieben möglichst unauffällig zu Manuel Kohl hinüber. Man brauchte kein Hellseher zu sein, um zu ahnen, daß es sein Heft war, das Studienrat Dr. Purzer zurückbehalten hatte.
    Der Junge mit der Stupsnase und den großen blauen Augen saß als einziger mit leeren Händen hinter seinem Tisch. Von der Straße war das Klappern eines Wagens der Müllabfuhr zu hören.
    Manuel Kohl hatte seine Ellbogen aufgestützt und starrte zu Dr. Purzer hinüber. Im nächsten Augenblick mußte das Gewitter losbrechen.
    Der Studienrat erwiderte den Blick von Manuel. Aber seine Miene ließ vorerst überhaupt keine Gefühlsregung erkennen. »Manchmal geschehen doch noch Wunder«, sagte er nach einer Weile in die Stille. »Ein Schüler, über dessen Haupt der Geist mathematischer Wissenschaften bislang hinweggeflogen war, ohne es mit seinen Flügeln auch nur zu berühren, hat eine höchst erstaunliche Zwei zustande gebracht...« Dr. Purzer machte eine Pause. Er hatte Manuel nicht aus den Augen gelassen.
    »Ich freue mich ehrlich für dich«, fuhr der Studienrat fort, »denn mit dieser Note ist deine Versetzung vermutlich so gut wie sicher. Allerdings...«
    Zuerst klatschte Emil Langhans in die Hände, dann tat es Sputnik und gleich darauf die gesamte Klasse. Ein Junge in kurzen Hosen rief begeistert »Bravo«, und Karlchen Kubatz sprang von seinem Stuhl hoch, warf die Arme in die Luft und brüllte »Yippih!« Anschließend stimmte er ein Lied an. Und als die 9 b geschlossen mitsang, dirigierte er sie. »So ein Tag, so wunderschön wie heute...« Man mußte es bis zum Zeichensaal hören.
    Dr. Purzer wartete eine Weile, zeigte dann abwehrend seine Handflächen. »Wir sind hier nicht auf dem Fußballplatz, meine Herren.« Er mußte seine Feststellung dreimal wiederholen, bis er sich verständlich machen konnte.
    Manuel Kohl hatte sich nicht von seinem Stuhl gerührt und war stumm geblieben. Auch als man ihm auf die Schulter geschlagen und links und rechts in die Seiten gepufft hatte. Aber jetzt lächelte er doch. Wenn auch zaghaft und immer noch ein wenig mißtrauisch.
    »Wir sind nicht auf dem Fußballplatz«,

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