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Das unheimliche Haus

Das unheimliche Haus

Titel: Das unheimliche Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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Vielleicht kommen wir später noch auf ihn zurück. Vorerst machen wir aber einen Sprung über ein paar Jahrhunderte hinweg. So lange passierte da draußen mit der Ruine im Wald nämlich nichts mehr. Bis so etwa um 1910 ein spleeniger Amerikaner auf tauchte. Er war steinreich und hieß George Ford. Ob er irgend etwas mit dem bestimmt noch reicheren Henry Ford zu tun hatte, war nie aus ihm herauszukriegen. Er war ein Riese von einem Mann und hatte Kummer mit seiner Wirbelsäule. Damals war gerade die Heilkraft unserer Thermalquellen weltbekannt geworden. Mister Ford kam alljährlich zur Kur, und wenn er hier im lauwarmen Wasser herumschwamm, waren seine Schmerzen wie weggeblasen. Aber damals war das ständige Hin- und Herreisen zwischen Amerika und Bad Rittershude noch ziemlich unbequem und zeitraubend. Als unser Mister Ford eines Tages beim Spazierengehen oder beim Pilzesuchen die Ruine des früheren Jagdschlößchens entdeckte, sagte er kurz entschlossen, das sei genau der richtige Platz, kaufte das Grundstück und baute sich über den alten Grundmauern eine piekfeine Villa. Seine Wirbelsäule war ihm wichtiger als Amerika. Mister Ford fühlte sich wohl, überlebte pudelgesund den Ersten Weltkrieg und dachte an nichts Schlimmes. Doch da kam jener große Bankkrach, und über Nacht war der bislang so reiche Amerikaner ein ruinierter Mann. Er setzte große Anzeigen in alle möglichen Zeitungen und suchte einen begüterten Käufer für sein herrschaftliches Haus. Der ließ eine ganze Weile auf sich warten. Aber eines Morgens klingelte das Telefon, und schon einen Tag später klingelte es an seinem schmiedeeisernen Gartentor. Mister George Ford verschwand wieder nach Amerika, und Carlo Maurus bezog die Villa im Wald. Jetzt klingelten die Telefone bei uns in der Redaktion. Radiostationen und Zeitungen wollten wissen, ob es denn tatsächlich wahr sei, daß sich Maurus ausgerechnet nach Bad Rittershude zurückgezogen hätte.«
    »Dann muß dieser Maurus ein ganz großes Tier gewesen sein?« vermutete Emil Langhans.
    »Hab’ den Namen nie gehört«, meinte Karlchen Kubatz. »Ein Politiker oder so was?«
    Herr Bellinghausen hatte den Kopf zur Seite gedreht und schielte jetzt über sich und ein wenig rückwärts zu Fritz Treutlein hinauf. »Du mußt dich aber gefälligst auch an unsere Spielregeln halten«, sagte er.
    Der Friseurlehrling hatte nämlich schon seit einer Weile seine Schere nicht mehr zwitschern lassen und mit hängenden Armen zugehört. »Entschuldigung«, meinte er jetzt, »aber wenn Sie so spannend erzählen, dann streiken unwillkürlich meine Finger.«
    »Weiter«, befahl der dürre Mann in dem Korbsessel und knurrte wieder einmal. »Abgemacht ist abgemacht, mein lieber Pfiffikus. Und wenn du noch einmal versuchen solltest, deinen Haarschnitt in die Länge zu ziehen, dann streike ich und halte meinen Mund. Capito?« Er schlug sein rechtes Bein über das linke und fuhr fort, als hätte er sich keine Sekunde lang unterbrochen. »Carlo Maurus war damals einer der größten Opernsänger, nicht gerade ein Caruso, aber auch nicht viel weniger. Die ganze Welt kannte ihn, in der Mailänder Scala war er genauso umjubelt wie in New York, London, Paris oder Berlin. Aber seit einem knappen Jahr war es ganz still um ihn geworden, seit eines Abends in Wien mitten in der Vorstellung seine Stimme versagt hatte. Die Weltpresse stürzte sich auf die Sensation wie ein Rudel hungriger Wölfe. Zuerst rätselte man noch und sprach von einer vorübergehenden Indisposition. Doch dann wurde es zur Gewißheit: Carlo Maurus würde nie wieder singen können. Er hatte seine Stimme verloren. Hektische Reisen von einer medizinischen Kapazität zur anderen brachten keine Hilfe. Es war aus. Nach den strahlenden Erfolgen mußte sich Carlo Maurus mit seiner endgültigen Niederlage abfinden. Jetzt wollte er keinen Menschen mehr sehen und duldete nur noch seine Wirtschafterin um sich, eine mürrische Person in mittleren Jahren. In die hohen Mauern hatte er Eisenspitzen eingießen lassen. Die Geschäfte in der Stadt mußten die telefonisch bestellten Waren von einem einsamen Waldweg zum großen Eisentor schleppen. Es dauerte immer einige Zeit, bis die Wirtschafterin öffnete, die Sachen entgegennahm, bezahlte und wortlos das Tor wieder verschloß. Nie ließ sich der Herr des Hauses blicken. Seine Hunde konnte man gelegentlich hinter den Gitterstäben sehen. Einmal gab es eine Aufregung. Es war kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Lastwagen und

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