Das unheimliche Haus
Keiner von ihnen hätte jetzt ein Wort sagen können.
Martin Bellinghausen schmunzelte zuerst, und dann lachte er wieder. »Hört euch diesen durchtriebenen Banditen an«, meinte er. »Und so was darf frei herumlaufen, es ist nicht zu fassen.«
Fritz Treutlein spürte Oberwasser. »Ich kann Ihnen auch den Kopf waschen«, schlug er mit treuherzigern Augenzwinkern vor.
Der Lokalredakteur, den sie bei den Bad Rittershuder Nachrichten Belli nannten, zog die linke Augenbraue hoch. »Untersteh dich«, warnte er.
Nicht sehr viel später saß Herr Bellinghausen, zurückgelehnt und mit einem orangefarbenen Badetuch um die Schultern, in einem Korbsessel, den Karlchen und Emil mit seiner Erlaubnis hinter seinem mit Papieren bedeckten Schreibtisch hervorgeholt und in die Mitte der Schiffskajüte plaziert hatten.
Der Raum war niedrig, aber überraschend groß. Die Wände waren bis zur Decke mit überfüllten Bücherregalen bedeckt. Was in ihnen keinen Platz mehr gefunden hatte, war auf dem hölzernen Fußboden aufgestapelt.
Durch die kleinen Fenster konnte man an geblümten Gardinen vorbei, steuerbord, das hellgrüne Wasser der Amper sehen und backbord das nahe Ufer. Im Hintergrund, zum Bug des Bootes hin, gab es eine kleine Küche mit einem runden Holzofen. Als sie vom Deck durch die schmale Tür gestiefelt waren, pfiff gerade ein Teekessel, und Bellinghausen hatte ihn schnell vom Feuer genommen.
Mittlerweile wanderte Fritz Treutlein bereits mit seinem Kamm durch die Mähne. »Lassen Sie sich nicht ablenken«, sagte der Friseurlehrling behutsam. Er ließ ein paarmal seine Schere auf- und zuschnappen. Anschließend senkte er sie und zwickte die ersten Haarspitzen ab.
»Kommen wir ohne Umstände zur Sache«, hatte der dürre Mann schon beim Hereinkommen gesagt und seine Pfeife in einen Aschenbecher neben der Schreibmaschine gelegt. »Das Haus im Wald hat eine Vorgeschichte, die bis etwa 1630 zurückgeht, wenn ich mich richtig erinnere. Aber auf ein paar Jahre kommt’s ja nicht an. Jedenfalls stand damals an derselben Stelle ein Jagdschloß des Herzogs von Bornhold. Von der Außenansicht existieren noch Kupferstiche, die ich in meinem Buch abdrucke, und sogar einen Grundriß gibt es noch. An ihm verwundern die weitläufigen unterirdischen Kellergewölbe. Vermutlich handelt es sich dabei um natürliche Tropfsteinhöhlen, die der Herzog dann später zu Munitionskammern ausbauen ließ. Dann kamen im Dreißigjährigen Krieg die Schweden, und mit dem fröhlichen Jagen war’s vorbei. Das Schloß wechselte ein paarmal den Besitzer und ist schließlich bis auf die Grundmauern abgebrannt. Womit die historische Seite der Angelegenheit schon erledigt wäre. Ein paar hundert Jahre hindurch kümmerte sich kein Mensch mehr um die Ruine.«
Etwa bei dieser Stelle war Herr Bellinghausen angekommen, als ihm Fritz Treutlein das orangefarbene Badetuch dichter um den Hals legte und im Hemdkragen verankerte.
Die anderen Jungen kauerten rund um den Korbsessel auf dem Boden und blickten zu dem ehemaligen Lokalredakteur hinauf wie zu einem Märchenerzähler auf dem Marktplatz von Marrakesch. Aber zwischendurch beobachteten sie auch Fritz Treutlein, der sich seiner augenblicklichen Wichtigkeit durchaus bewußt war. Er hantierte sehr eindrucksvoll aus den Handgelenken, und gelegentlich stellte er an der Hand mit der Schere elegant den kleinen Finger in die Höhe.
»Ganz schön, was da so alles runterkommt«, bemerkte Herr Bellinghausen. Auf dem orangefarbenen Badetuch über seinen Schultern und auch um seine Füße herum sammelten sich allmählich ganze Haarbüschel.
»Viele Leute wären glücklich, wenn sie nur eine Handvoll davon auf dem Kopf hätten«, erwiderte der Friseurlehrling. Er ließ seine Schere weiterklappern und fragte jetzt so beiläufig wie nur möglich: »Weiß man, was aus dem Besitzer des abgebrannten Schlosses geworden ist?«
»Aha, du willst mich an unsere Abmachung erinnern«, schmunzelte der frühere Lokalredakteur. »Und ich seh’ schon, daß ich mich sputen muß, wenn wir beide gleichzeitig fertig werden sollen«, fügte er noch hinzu. Er lehnte sich wieder ein wenig zurück. »Also dieser Herzog von Bornhold muß in den Flammen umgekommen sein, und zwar als Gefangener in seinem eigenen Schloß, das sich die Schweden unter den Daumen gerissen hatten. Er lag beim Ausbruch des Brandes, mit Ketten gefesselt, in einem Verlies, und man hat ihn bei der allgemeinen Aufregung ganz einfach vergessen. Soweit der Herzog.
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