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Das unheimliche Haus

Das unheimliche Haus

Titel: Das unheimliche Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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Betonmaschinen rückten an. Schon die Militärbehörden hatten zuvor die unterirdischen Anlagen auf dem Grundstück zu Luftschutzbunkern ausbauen lassen. Glücklicherweise blieb Bad Rittershude von Angriffen verschont, und sie wurden nie gebraucht Aber jetzt erzählte man sich, daß der seltsame Hausbesitzer plötzlich von Atomängsten geplagt sei — deshalb die neuerliche hektische Betriebsamkeit. Sehr schnell brach sie wieder ab, so als hätte es sich nur um einen Irrtum gehandelt. Gelegentlich versuchten immer noch Journalisten oder Reporter, zu dem ehemaligen Weltstar vorzudringen, aber er ließ sie abwimmeln wie lästige Fliegen. Und mit den Jahren geriet Maurus dann endgültig in Vergessenheit. Sein früher so prächtiges Haus verfiel immer mehr. Da kam ein Weihnachten, es muß um 1952 oder ‘53 gewesen sein. Zwei Tage vor dem Fest kreuzte eine Frau in die Redaktion auf, stellte sich als Wirtschafterin von Maurus vor. Ihr Herr sei bereit, sein langes Schweigen zu brechen, sagte sie, ob ich noch am selben Tag zu ihm kommen könnte. Ohne zu überlegen, sagte ich zu. Ein Interview mit dem Star der Vergangenheit mußte schon wegen seiner tragischen Geschichte ein Zeitungsknüller werden.«
    »Ich komme jetzt an den Nacken«, bemerkte der Friseurlehrling in diesem Augenblick taktvoll und leise. »Wo finde ich Strom für meinen Rasierapparat?«
    »Da drüben ist eine Steckdose«, erwiderte Herr Bellinghausen und zeigte zum Schreibtisch hinüber. »Aber ich weiß nicht, ob du da mit deinem Kabel zurechtkommst.«
    Fritz Treutlein kam zurecht, und der frühere Lokalredakteur schilderte seinen Besuch in der verschneiten Villa. »Carlo Maurus empfing mich im Rollstuhl. Sicherlich würde er heute sein letztes Gespräch mit einem Journalisten führen, und er habe mich und die Bad Rittershuder Nachrichten nur deshalb ausgesucht, weil wir den kürzesten Weg zu ihm hätten. Ohnehin würden wohl alle großen Zeitungen nachdrucken, was er mir erzählen und was ich schreiben würde.
    Bis zum Hals in wärmende Decken gepackt, wirkte er zerbrechlich und schwach. Niemand hätte in ihm den einst weltweit gefeierten Tenor wiedererkannt. Er habe gelernt, die Menschen zu verachten und nur noch Tiere zu lieben. Er schickte mich zum Fenster, damit ich in den Garten hinunterblicken konnte. Dort sah ich dicht nebeneinander lauter kleine Grabsteine, die jetzt vom Schnee beinahe zugedeckt waren. Das seien seine Hunde gewesen, seine einzigen Freunde in all den vergangenen Jahren. Aber jetzt sei es auch damit vorbei, er habe Angst vor der Trauer. Dann richtete er sich plötzlich auf und funkelte mit den Augen. Er würde die Welt noch mit einer neuen Übersetzung der Bibel überraschen und mit Büchern über Hypnose und Atome. Ob ich je gehört hätte, daß die innere Temperatur des Elektrons zwischen 100 und 1000 Grad pulsiere? Ja, er habe Entdeckungen gemacht, die für die Menschheit erschreckend seien. Ich muß zugeben, daß mir vom Zuhören bald der Kopf brummte. Dieser alte Mann hatte nach der Stimme jetzt auch noch seinen Verstand verloren.«
    Bisher hatte der Rasierapparat vor sich hingesummt. Jetzt schaltete ihn der Friseurlehrling wieder ab.
    »Du bist gleich soweit, wie?« fragte Herr Bellinghausen.
    »Noch zwei Minuten«, erwiderte Fritz Treutlein.
    »Nun, auch ich bin mit meiner Geschichte gleich fertig«, meinte der pensionierte Lokalredakteur. »Von meinem Interview interessiert vielleicht lediglich noch, daß es nur kurz und ziemlich traurig ausgefallen ist. Aber alle Zeitungen haben es abgedruckt, so wie es Carlo Maurus vorausgesagt hatte. Er erlebte noch das Weihnachtsfest, aber nicht mehr das nächste Jahr. Und damit sind wir wieder bei eurem Haus im Wald.« Herr Bellinghausen wechselte die übereinandergeschlagenen Beine. »Es stellte sich bei der Testamentseröffnung heraus, daß der frühere Opernstar bis über die Ohren verschuldet war und in Wirklichkeit Karl Maurer hieß. Als einziger Verwandter tauchte ein Neffe von zwanzig oder zweiundzwanzig Jahren auf. Er hätte die Erbschaft antreten können. Aber nachdem er sich vom Zustand der Villa überzeugt hatte, bis in die unterirdischen Gänge hinuntergeklettert war und schließlich hören mußte, daß die Gläubiger sofort ihre Hände aufhalten würden, lehnte er dankend ab und verschwand wieder. Jetzt hätte die Gemeindeverwaltung von Bad Rittershude zugreifen können. Aber sie verzichtete ebenfalls, und auch keiner der Gläubiger wollte sich die Finger verbrennen. Da

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