Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee
aus konnte er drei kleine Gestalten erkennen. Primus triumphierte. Allerdings war seine Freude nur von kurzer Dauer, denn Kobolde waren das leider nicht. Es handelte sich lediglich um drei kleine Kinder, die über den Kräutersteig spazierten und laut aufeinander einredeten.
Für Primus schien das äußerst ungewöhnlich. Zwar liebte er es, Leute zu erschrecken, aber Kinder zu ärgern war nicht gerade seine Art. Vielmehr empfand er es als ausgesprochen seltsam, dass kleine Kinder einfach so im Finsterwald herumliefen. Selbst die Erwachsenen hatten viel zu viel Angst vor dem Wald und blieben immer ängstlich am Waldrand stehen. Die drei Kleinen mussten etwas Besonderes vorhaben, wenn sie sich in dieser Gegend herumtrieben. Eifrig plauderten sie miteinander und achteten weder auf die gespenstischen Bäume noch auf die unheimlichen Geräusche des Waldes.
»Ich kann sehr wohl mit Pfeil und Bogen schießen«, sagte das Mädchen zu dem größeren der beiden Jungen.
»Stimmt«, antwortete dieser abfällig. »Schießen kannst du vielleicht, aber treffen tust du nicht.« Und er fügte lachend hinzu: »Mädchen kriegen bei Miss Plim sowieso kein Spielzeug. Die hat nur Sachen für Jungs.«
»Das stimmt überhaupt nicht«, schrie die Kleine.
Der andere Junge klopfte ihr auf die Schulter. Er sah ihr sehr ähnlich und war offensichtlich ihr Bruder. »Lass dich nicht ärgern, Tinchen«, beruhigte er sie. »Irgendwas finden wir auch für dich.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, lachte der andere.
»DU BIST GEMEIN!«, brüllte die Kleine. »Wenn du nicht bald aufhörst, dann kommst du zum Teufel in die Schwarze Hütte!«
Die Kinder zankten weiter, bis sie hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden waren. Primus lag noch immer regungslos auf dem Stein. Das Interesse an der versteckten Tür hatte er inzwischen verloren. Viel spannender fand er nun eine andere Sache, und zwar: diesen seltsamen Spielzeugladen von einer gewissen Miss Plim!
Er schwang sich vom Stein und flog den Kindern hinterher. Ihr Geschnatter war kaum zu überhören. Unbemerkt sauste er über die kleine Truppe hinweg und flatterte ganz gemütlich den Kräutersteig entlang.
Der Kräutersteig war ein wenig breiter als der Distelpfad und verlief durch dichten Nadelwald. Überall lagen Tannen- oder Fichtenzapfen auf dem Boden, der zudem knöcheltief mit Nadeln übersät war. Das Sonnenlicht blinzelte durch die Bäume, wodurch der Finsterwald schon fast ein wenig freundlich wirkte. Nach einem beachtlichen Stück Weg kam Primus schließlich zu einer Abzweigung, an der ein hölzernes Schild stand:
ZUM SPIELZEUGLADEN – Bitte rechts abbiegen
Er bog um die Kurve und flog einen kerzengeraden Weg zwischen dunklen Tannen hindurch. Am Ende angelangt öffnete sich der Wald zu einer mit Gras bewachsenen Lichtung, auf der ein winziges Häuschen im Sonnenschein stand. Das Grundstück war von einem Bretterzaun umgeben, von dessen Gartentor ein Trampelpfad zur Haustür führte.
»Und das hier soll ein Spielzeugladen sein?!«, spöttelte Primus. »Das sieht mir eher wie ein Hexenhaus mit Gemüsegarten aus.«
Das Häuschen hatte eine bauchige Form, Fenster mit Butzenglas und ein buschiges gelbes Strohdach. Eine Rauchfahne stieg aus dem Kamin, auf dem ein verlassenes Storchennest lag. Auf den ersten Blick sah diese Hütte überaus einladend und gemütlich aus. Seitlich am Haus befand sich ein Anbau mit einem riesigen kreisrunden Fenster. Eine Messingglocke hing neben der Tür und über dieser ein Schild mit der Aufschrift:
PLIMS SPIELZEUGLADEN
Primus flatterte über den Lattenzaun und schaute sich neugierig um. Überall standen Gartengeräte, Blumentöpfe oder Pflanzentröge mit allen möglichen Gewächsen. Mitten im Salatbeet entdeckte er neben einigen Bohnenstangen eine lächelnde Vogelscheuche, die verträumt in den Himmel blickte. Bei näherer Betrachtung merkte er jedoch schon bald, dass diese Vogelscheuche äußerst lebendig war, da sie leise ein Lied trällerte und dabei mit dem Kopf wippte. Sie trug ein helles Leinenhemd und einen Lederhut. Mit ihren großen braunen Knopfaugen sah diese Vogelscheuche allerdings keineswegs zum Fürchten aus.
»Vor der hat doch nicht einmal ein junger Spatz Angst«, lachte er und flog weiter zum Haus.
Vor der Eingangstür entdeckte er einen Brunnen mit einer Kurbelwinde und etwas weiter weg im Gebüsch einen hohlen, morschen Baumstamm. Zweifellos gehörte auch dieser zur Wurzelpost. Im Großen und Ganzen gab es hier aber
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