Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee
gesamte Tür, samt Rahmen und Angeln, war aus einem einzigen Steinblock gemeißelt. Ratlosigkeit machte sich breit. Mit ihrer Haarnadel konnte Plim bei dieser Tür offenbar nichts ausrichten. Weder gab es eine Klinke noch fanden die beiden ein Schlüsselloch. Stattdessen prangte ein steinernes Gesicht inmitten des Türblatts, das sie prüfend und misstrauisch anstarrte.
Dieses sah aus wie die Mischung aus einem Löwen und einem Widder – mit gebogenen Hörnern und struppiger Mähne. Zwei spitze Eckzähne ragten jeweils vom Ober- und Unterkiefer aus seinem Maul und schoben sich über die Lippen.
»Wo ist der Schlüssel?«, knurrte der Kopf.
»Hä?« Plim rümpfte die Nase. »Was willst du haben?«
»Den Schlüssel!« Der Löwenkopf klapperte mit den Zähnen.
»Ach so«, sagte sie. »Warum sagst du das nicht gleich? Den habe ich verloren.«
»Dann bleibst du draußen!« Die Antwort war kurz und knapp.
»Hör mal zu«, schnauzte Plim, »ich verliere andauernd meine Schlüssel. Aber im Gegensatz zu dir macht meine Haustür nicht so ein Theater.«
»Kein Schlüssel, kein Einlass.«
Fassungslos wandte sie sich an Primus. »Was sagt man dazu? Der will uns nicht reinlassen.«
Primus versuchte es auf die freundliche Tour. »Vielleicht kannst du ja mal eine kleine Ausnahme machen«, schlug er dem Steinkopf vor. »Weißt du, wir müssen nur schnell etwas abholen. Das geht ganz flink. Am besten, du lässt uns einfach kurz hinein und wir bringen dir den Schlüssel später vorbei, einverstanden?«
Der Löwenkopf zog ein verdutztes Gesicht. Dann brach er in brüllendes Gelächter aus. »Du Schlitzohr«, lachte er, »fast hättest du mich hinters Licht geführt. Aber so leicht kommst du an mir nicht vorbei.« Er klapperte erneut mit den Zähnen und sagte: »Wo ist der Schlüssel?«
Nervös wippte Plim auf und ab. »Kann dieser Spaßvogel eigentlich auch etwas anderes sagen?«
Primus betrachtete die Tür. »Selbst wenn wir einen Schlüssel hätten«, flüsterte er ihr ins Ohr, »dann wüsste ich nicht, wo ich ihn hineinstecken sollte.«
Er tastete mit den Händen das Türblatt ab. Als er jedoch in die Nähe des steinernen Kopfes kam, fing dieser an nach ihm zu schnappen.
»VERFLIXT«, rief Primus aus und sprang zurück. »Hast du gesehen? Unser Freund hier ist bissig.«
»Vielleicht sollten wir ihm an Stelle eines Schlüssels besser einen leckeren Knochen bringen?!« In sicherem Abstand beugte sich Plim vor: »Was ist, möchtest du einen feinen Knochen haben?«
»Ich will keinen Knochen«, blaffte der Kopf. »Ich will den Schlüssel!«
Sie verdrehte die Augen. Hier schien jede Diskussion aussichtslos.
Primus dachte fieberhaft nach. Erst kürzlich hatte er doch etwas über verzauberte Türen und Schlösser gelesen. Aber sosehr er sich auch bemühte, er konnte sich nicht erinnern, dass von so einer Tür irgendwo die Rede gewesen war. Zähneknirschend blickte er das Türblatt an. Da stecken gewiss die Kobolde dahinter, dachte er sich. Wer sonst konnte eine derart meisterliche Steinmetzarbeit vollbringen und einem gleichzeitig derart gut den Weg versperren?! Vielleicht hatte Plim ja auch Recht und man müsste dem Löwenkopf etwas geben? Zu den Kobolden würde das auf jeden Fall passen. Aber was um alles in der Welt sollten sie einem steinernen Kopf anbieten? Sie hatten kein Essen dabei, keinen Wein und von Geld ganz zu schweigen. Abgesehen davon, was sollte ein Steinkopf schon mit Geld anfangen?
Doch Augenblick! Bei dem Gedanken an Geld fielen ihm plötzlich die Worte des Spiegels ein. Was hatte der alte Spiegel gesagt, als er ihm die goldene Plakette gezeigt hatte? Gold öffnet immer Tür und Tor.
Primus schaute sich das Maul des Wächters an und betrachtete die vier langen Zähne. War die Plakette mit den Löchern etwa ein Schlüssel und der steinerne Kopf das Schloss dazu? Hatte Rabenstein sie einst im Wald verloren, als sie zusammen dort unterwegs gewesen waren? Er griff in die Innentasche seines Fracks und zog die Plakette hervor. Einen Versuch wäre es zumindest wert.
»Sag mal, willst du vielleicht das hier haben?« Er hielt sie dem Schloss genau vor die Nase.
Als der steinerne Kopf das Goldstück erblickte, stieß er ein Fauchen aus. Gierig fletschte er die Zähne und riss das Maul auf.
Primus’ Augen begannen zu funkeln. Das war also die Lösung! Der alte Spiegel hatte genau gewusst, wofür die Plakette gut war, aber er hatte ihm lediglich einen kleinen Hinweis gegeben. Das passte zu ihm.
Er streckte
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