Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee
Rabensteins Arbeitszimmer sein«, flüsterte Primus aufgeregt, als er seinen Blick durch den Raum gleiten ließ.
Ein wuchtiger Schreibtisch tauchte vor ihnen auf, hinter dem ein lederner Sessel stand. Daneben befand sich ein Lesepult, schmal und hoch, mit einem seidenen Tuch darüber. Mehrere eiserne Kerzenleuchter standen in den Ecken des Zimmers, von denen das Wachs wie Eiszapfen zu Boden hing. Es gab ein Regal mit Büchern und allerlei magischen Utensilien, die Plim sofort ins Auge fielen. An der Wand nebenan hingen in gläsernen Rahmen mehrere Pergamente. Schon von weitem konnten sie erkennen, was darauf abgebildet war.
»Sieh nur!«, rief Plim, als sie die Zeichnungen erblickte. »Dieses Ekel ist auch hinter den Steinen her. Deswegen hat er uns das Buch weggenommen. Er will nicht, dass ihm jemand zuvorkommt.«
Wie ein Detektiv schaute Primus die Zeichnungen an. Auf allen waren Ausschnitte und Vergrößerungen des mittleren Sichelstücks dargestellt.
Nachdenklich griff er sich ans Kinn. »Sieht mir ganz danach aus, als hättest du Recht«, sagte er. »Rabenstein muss sich schon seit einer Ewigkeit mit diesem Thema beschäftigen.« Er neigte den Kopf und betrachtete die akribisch gezeichneten Bilder. »Aber irgendwie habe ich den Eindruck, als interessierte er sich besonders für einen ganz bestimmten Teil der Mondsichel. Genauer gesagt, für ein bestimmtes Element .«
»Ach ja?«, fragte Plim. »Und was soll das für ein Element sein?«
Unschuldig schaute sie zur Decke. Bei ihr war es schließlich auch nicht anders. Sie wollte das Element der Schönheit besitzen, koste es, was es wolle. Aber Rabenstein hatte etwas ganz anderes im Sinn. Ihn verlangte es weder nach Reichtum noch nach Glück und schon gar nicht nach Schönheit.
»Er will Macht «, sagte Primus, wobei er auf die Pergamente zeigte. »Das alles sind Studien über das Mittelstück. Es ist das Element der Macht, hinter dem Rabenstein her ist.«
Er blickte nach rechts, wo ein weiterer Plan hing.
»Was soll denn das darstellen?«, fragte er.
Die Zeichnung sah aus wie einer von Plims alten Filzpantoffeln.
»Das ist der Mondwassersee«, sagte sie. »Von oben gesehen.«
»Der See?« Primus trat einen Schritt zurück. Da wäre er nie draufgekommen. Er zog die Augen zu zwei Schlitzen zusammen. »Glaubt Rabenstein etwa, die Splitter liegen irgendwo auf dem Grund des Sees?«
Sie zuckte mit den Achseln.
»Natürlich!«, rief er. »Deswegen stand er auch in der Neumondnacht in dem Boot und hat so eigenartig ins Wasser gestarrt. Er hat in der Tiefe nach den leuchtenden Splittern gesucht!«
Bei diesem Gedanken begann Plim zu strahlen. »Na wunderbar«, freute sie sich, »dann wissen wir ja, was wir als Nächstes zu tun haben. Wir kreisen einfach über dem See und schauen nach, wo wir etwas Helles entdecken. Von oben haben wir einen weitaus besseren Überblick. Du nimmst die linke Hälfte des Sees und ich suche die rechte Seite ab. Meinetwegen können wir auch tauschen. Rabenstein kann jedenfalls weiterhin in seiner Nussschale schippern und den Wellen zugucken. Wir sind im Vorteil!«
Doch dann verstummte sie plötzlich. »So was Blödes aber auch«, knurrte sie. »Die Splitter leuchten ja nur bei Neumond. Das habe ich jetzt glatt vergessen. Da müssen wir ja noch vier Wochen warten, bis es wieder so weit ist.« Verärgert blickte sie auf den Plan. »Aber anders finden wir sie nie. Der See ist viel zu groß.« Sie rollte mit den Augen und bekräftigte: »Vier Wochen!«
»Tja«, sagte Primus, »das ist wirklich noch eine ganze Weile.« Er wippte mit dem Kopf. »… wenngleich ich mir nicht so recht vorstellen kann, dass die Splitter wirklich dort unten liegen.«
»Wie meinst du das?«
»Ich vermute nur, dass Rabenstein glaubt, sie lägen dort unten. Warum auch immer, aber geschrieben steht das bisher noch nirgendwo. Abgesehen davon kann ich mir nicht vorstellen, dass es in 12000 Jahren niemandem aufgefallen wäre, wenn nachts im Mondwassersee das Licht brennt.« Er lächelte. »Vielleicht ist Rabenstein ja auch auf der falschen Spur. Komm«, sagte er, »sehen wir nach, was wir hier noch alles finden.«
Die beiden teilten sich auf. Primus wandte sich dem Schreibtisch zu, während Plim das Regal untersuchte. Kurz darauf hörte er es rascheln. Er blickte auf und sah Plim, wie sie nach und nach Dinge aus dem Regal holte und sie in ihre Tasche stopfte.
»He«, zischte er, »was machst du denn da?«
»Ach, ich leihe mir nur das eine oder andere aus«,
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