Das Unkrautland, Band 2: Das Geheimnis der Schwarzen Hütte (German Edition)
er Plim den Brief entgegen. »Was meinst du?«, lächelte er, »willst du ihn aufmachen?«
» ICH ?« Sie fuhr in die Höhe und hielt die Luft an. »Also, ich weiß nicht recht …«
Primus zuckte mit den Schultern. »Na gut, dann muss ich es wohl selbst …«
»Nein, nein!«, rief sie. »Das geht schon in Ordnung. Ich erledige das.«
Sie griff nach dem Umschlag und hielt ihn erwartungsvoll vor sich ins Licht. Nun warf sie Primus einen verstohlenen Blick zu. Sie biss sich voll Spannung auf die Lippen und nahm das Siegel zwischen beide Daumen. Dann brach sie es auf. Mit einem Knacken ging das Siegel entzwei.
Vergilbtes Papier
14. September 636
Magnus,
ich hoffe, dass mein Brief Dich noch zeitig erreicht.
Seltsame Dinge tragen sich zu, und ich kann mich der Gewissheit nicht mehr entziehen, dass Du mit all Deinen Befürchtungen Recht gehabt hast. Etwas geschieht im Geheimen, fernab von unserem Blick.
Vielleicht solltest Du Deinen Aufbruch noch einmal verschieben und das Frühjahr abwarten. Ich jedenfalls sehe Deinem Vorhaben mit größter Sorge entgegen. In den Bergen sind die Herbstwinde erwacht, viel früher als erwartet, und auch die Eisstürme auf den Gipfeln werden sich bald schon zusammenbrauen. Das alles weiß ich aus sicherer Quelle.
Andererseits ist es ebenso gewiss, dass die Zeit nunmehr drängt.
Rabenstein trachtet danach, Dir zuvorzukommen und das Behältnis mit der Nebelfee für sich zu erlangen. So gut konnte er sich gar nicht verstellen, als dass ich dies nicht bemerkt hätte. Er kam nun schon zum zweiten Mal hierher, mit fadenscheinigen Gründen und durchtriebenen Fragen. Aber ich ließ mich nicht täuschen.
Es war vollkommen richtig, das Büchlein vor ihm zu verstecken und ihn aus Deinem Dienst zu verweisen. Wer weiß, wozu er fähig gewesen wäre.
Dennoch bin ich mir sicher, dass er über den Verbleib der Wegbeschreibung Bescheid weiß. Ihm ist wohlweislich bekannt, dass sie sich nicht mehr im Turm befindet, und vermutlich ahnt er, dass Du sie in meine Obhut gegeben hast. Das Buch wird daher auch bei mir schon bald nicht mehr sicher sein.
Ich bitte Dich daher, Deine Niederschrift so schnell wie möglich wieder an Dich zu nehmen. Das Büchlein könnte Dir bei Deiner Reise ohnehin gute Dienste leisten – selbst wenn Du es eigenhändig geschrieben hast und den Inhalt gut kennst. Um Dir eine kleine Freude zu bereiten, habe ich es Dir so zurechtgemacht, dass Du es immerzu leicht bei Dir tragen kannst.
Komm also schnell. Ich halte Ausschau und erwarte Deinen Besuch.
Alles Liebe
Tannia
E ine dünne Rauchfahne stieg aus dem Schornstein, die weit in den Himmel hinaufreichte. Mit einer Handvoll Magie und einer gehörigen Portion Hexenkunst hatte Plim den rostigen Ofen der Hütte wieder in Gang gebracht. Eine wahre Meisterleistung, wie man zugeben musste. Es hatte gezischt, gequalmt und gestunken, dass man in den engen Zimmern kaum noch Luft bekommen hatte. Aber zum Schluss war es Plim gelungen: Im Ofen bullerte ein lustiges Feuerchen.
Für Primus war es allerdings ebenso bemerkenswert, dass mit dem Ofen nicht auch gleich die ganze Hütte in Flammen aufgegangen war – denn zeitweise hatte es ganz danach ausgesehen. Rauchend und krachend hatte Plim grüne Funken gezaubert, Kohlen durchs Zimmer fliegen lassen und Flammenwirbel erzeugt, die ihr ständig entwischt waren. Primus kam sich die ganze Zeit über vor wie im Tollhaus. Bis in den Dachstuhl waren die Feuerbälle geflitzt und hatten geknallt, dass die Raben in Panik davongeflattert waren. Doch das alles hatte Plim kein bisschen aus der Ruhe gebracht. So einen Hokuspokus würde sie zu Hause jeden Tag erleben, meinte sie, das sei absolut kein Grund zur Beunruhigung. Und außerdem: Der alte Ofen würde bestimmt gleich viiiieel besser funktionieren als jemals zuvor. Hexenehrenwort!
Glücklicherweise behielt Plim damit Recht. Mit einem Kochlöffel in der Hand stand sie nun in der Ecke und rührte vergnügt in einem uralten Suppentopf. Unter all den Schüsseln und Pfannen, die in der Hütte herumlagen, hatte sie sogar einen kleinen Teekessel gefunden, der noch immer bestens in Schuss war. Wunderbar! Mehr brauchte sie gar nicht, um für ein Frühstück zu sorgen. Summend schaute sie in die dampfende Brühe und bröselte eifrig Kräuter hinein. Es dauerte nicht lange und ein würziger Duft erfüllte den Raum.
Beide Beine über die Armlehne geworfen lümmelte Primus im Sessel. Er hatte die Sprungfedern beiseitegebogen, um es sich
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