Das Unkrautland, Band 2: Das Geheimnis der Schwarzen Hütte (German Edition)
Meile und immerzu geradeaus durch die Dunkelheit. Es gab keinen Versatz und auch keine Biegung. Die Postleitung glich einem schier endlosen Strohhalm. Hätte er nicht mit Bestimmtheit gewusst, dass dieser Ausflug irgendwann einmal ein Ende haben musste, dann hätte er schon längst kehrtgemacht. Doch auf Bucklewhee war zweifellos Verlass. Und wenn das Gerippe behauptete, einen Brief gesehen zu haben, dann musste dieser auch früher oder später einmal auftauchen. Guten Mutes flatterte er weiter.
Und tatsächlich schien der Weckvogel Recht zu behalten. Schon aus der Ferne bemerkte Primus einen Gegenstand, der hier offensichtlich nicht hergehörte. Aufgeregt flatterte er darauf zu. Es war ein dicker Stab, der von oben nach unten durch die Rohrleitung führte. Endlich war er am Ziel. Das musste der Pfosten sein, gegen den Bucklewhee gestoßen war. Bei näherer Betrachtung war so ein Unfall auch nicht weiter verwunderlich, denn in diesem Rohr gab es ja kaum genug Platz, um sich überhaupt an dem Pfosten vorbeizuquetschen.
Primus überlegte, was es mit diesem Pflock wohl auf sich haben könnte, und malte sich die verschiedensten Möglichkeiten aus. Mit Sicherheit aber sollte damit etwas im Boden verankert werden, so viel stand für ihn schon einmal fest. Vielleicht hatte man ja hier ein Schild, einen Zaun oder gar eine Laterne aufgestellt?! Doch diese Gedanken schüttelte Primus gleich wieder ab. Nein, beschloss er, das kann nicht sein. Im Finsterwald standen weder Zäune noch Laternen herum. Wofür, bitte schön, sollte man diese denn brauchen?! Und Schilder gab es garantiert auch keine, das wusste er genau. Na gut, ging es ihm durch den Kopf, sofern man von dem alten Wegweiser, den er seit zweihundert Jahren ständig verdrehte, einmal absah. In diesem Moment flammte ein kleiner Zweifel in ihm auf … oder könnte es dieser etwa doch sein?!
Egal, dachte er, worum es sich auch immer handeln mochte. Auf jeden Fall war es ein unglaublicher Zufall, dass dieses Ding nun ausgerechnet über dem Postrohr aufgestellt worden war und seither die Leitung blockierte. Er flatterte näher heran und bremste ab. Neugierig blickte er zu Boden. Tatsächlich! Bucklewhee hatte also nicht geträumt. Vor Primus lag ein Brief.
Es war ein dünnes Kuvert – brüchig, von Schmutz überzogen und über die Jahre gänzlich vergilbt. Neugierig beugte er sich darüber und untersuchte es. Auf der Rückseite prangte mittig ein Siegel, das eine Art Wappen zu zeigen schien. Wie sich herausstellte, war es noch immer intakt. Aber in der Dunkelheit, die ihn umgab, fiel es Primus schwer, die Gravur zu entschlüsseln. Der Brief musste auf der Stelle ans Licht!
Rasch machte er kehrt.
Primus packte den Brief mit den Krallen, zog ein weiteres Mal den Kopf ein und flatterte dann, so schnell er nur konnte, in Richtung Ausgang. Nach einer langen Reise durchs Rohr und mit zahlreichen blauen Flecken behaftet, kam er endlich wieder aus dem hohlen Baumstumpf heraus.
»Sag mal, was hast du denn nur die ganze Zeit da unten gemacht?«, fragte Plim. »Ich sitze hier schon fast eine Stunde und warte auf dich.« Sie hockte gemütlich neben Bucklewhee auf dem Fensterbrett und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen.
Unter lautem Stöhnen richtete Primus sich auf. Er drehte den Kopf, hob seine Schultern und ließ nach und nach die Gelenke knacken. Seine Ellbogen waren verbeult wie ein runzliger Blumenkohl.
»Aaaaaaah«, jammerte er, »meine Knochen. Diese Rohrleitung ist noch schlimmer als dein dusseliges Einmachglas. So was von eng.«
»Was denn für ein Einmachglas?«, wollte Bucklewhee wissen.
»Ach nix«, winkte Plim ab, »alte Kamellen.« Dann schaute sie Primus neugierig an. »Hast du denn nun etwas gefunden, hm? Erzähl schon.«
»Das kann man wohl sagen«, nickte Primus. »Allerdings war wohl eher Bucklewhee der Entdecker.« Er streckte die Hand aus und zeigte den beiden den Brief. »Möchte wissen, wie lange der schon da unten gelegen hat. Das Papier ist brüchig wie Herbstlaub.«
Die drei schoben ihre Köpfe über dem Umschlag zusammen und schwiegen. Gespannt starrten sie auf das tiefrote Siegel, das die Lasche des Kuverts verschlossen hielt. Es war in etwa so groß wie ein Goldtaler, war kunstvoll mit Blumen verziert und in seiner Mitte mit einem verschnörkelten T versehen.
»Kennt ihr zufällig jemanden, dessen Name mit T anfängt?«, flüsterte Primus.
Einstimmiges Kopfschütteln war die Antwort.
»Und ich genauso wenig«, sagte er. Dann hielt
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