Das unsagbar Gute
darf ich von mir auf sie schließen. Vorher das Auge Gottes sehen oder etwas Ähnliches und dann schlafen … verdammt!« Er stand auf und begann mit großen Schritten im Raum auf und ab zu gehen. »Die wird erfrieren, Sami, in der Nacht hat es schon Minusgrade! Wenn keiner vorbeikommt und sie findet … und warum sollte das einer um diese Zeit, ach Scheiße!« Er nahm noch einen Schluck. Dieses Reden mit der Katze war ungesund, fast genauso wie das Reden der Katze selber. Beides deutete auf schädliche Verschiebungen der Normalität.
Er überlegte. Die eine Kaserer-Schwester schon tot, die andere erfroren. Besser konnte es doch gar nicht laufen, oder? Doppelselbstmord? Unfall? Die Gerichtsmedizin würde sich hinter dem Ohr kratzen, bildlich gesprochen. Keine Verletzungen, keine Spuren von Gewalteinwirkung, keine Drogen – denn, nicht wahr, Fremdsubstanzen findet man nur mit geeigneten Tests. Wenn man aber die Substanz noch nicht kennt, gibt es auch keinen Test dafür, sie bleibt unentdeckt. Natürlich würde die Polizei aufkreuzen und sich nach dem Thema des Handygesprächs erkundigen – da musste er sich nur etwas harmlos Nachbarliches ausdenken – oder etwas weniger Harmloses: Beschwerden über Sami, den Kater, genau, weil der immer den Kaserer-Gemüsegarten benutzt, um … »und die wollte einfach nicht glauben, dass der Kater gar nicht mehr hier wohnt, sondern drüben beim Herrn Schott, aber abgesehen davon, Herr Inspektor, was soll man da machen, der Herr Schott oder wir, der Herr Leupold oder ich: Wie hindert man eine Katze daran, dass sie ihr Geschäft verrichtet? Soll ich sie einschläfern deswegen? Sagen Sie selbst! Diese Kaserer-Schwestern sind doch nicht ganz dicht, also ehrlich!« Genau das könnte er sagen. Und was würde die Polizei antworten?Schön, Herr Dr. Nowak, und jetzt wollen wir uns einmal Ihren Keller anschauen! Warum? Einfach so! – Blödsinn. So würde die Polizei nicht reagieren. Es sei denn – natürlich! Es sei denn, sie hätte das Tagebuch der Margit Kaserer gefunden, die Polizei, oder das der Marie Kaserer, spielt keine Rolle, wo alles haarklein drinstand, in dem Tagebuch … über die tote Frau Leupold und – warum nicht, wo wir schon dabei sind – den toten Herrn Guttmann und den Kauf verdächtig vieler Kühltruhen.
Alles Blödsinn! Das Tagebuch ist der Deus ex Machina mindertalentierter Drehbuchautoren, die zu spät draufkommen, dass der Mörder straffrei davonkommt, wenn alles so läuft, wie sie es sich bis dahin ausgedacht haben. Das Tagebuch ist nur ein billiger Trick.
Alles in Ordnung. Alles löste sich von selbst. Romuald Nowak ging ins Vorzimmer. Alles löste sich in Wohlgefallen auf. Er setzte sich auf die zweite Treppenstufe, um sich die hohen Schuhe anzuziehen. Sami sah ihm aus dem Wohnzimmer zu. »Wir überlassen die miesen Erpresserinnen ihrem Schicksal, was, Sami?« Der Kater ließ ein leises Gurren hören. Kein Vergleich mit geschliffenem Griechisch, aber immerhin. »Wir lassen sie einfach verrecken, diese Scheiß-Kaserer-Schwestern!« Er zog sich den roten Pullover an. Die Nacht würde kalt werden, der Wetterbericht hatte gewarnt. »Du glaubst mir nicht, Sami? Du meinst, ich rede nur so daher?« Der Kater blickte ihn mit runden Augen an.
»Weißt du was, Sami? Du hast völlig recht.« Romuald zog den dicken Wintermantel an. »Ich sollte die beiden krepieren lassen. Aber ich kann nicht. Verstehst du das?« Der Kater gab keine Antwort. »Ich kann einfach nicht. Ich versteh es selber nicht …« Er öffnete die Tür.
Draußen stand Margit Kaserer. Sie trug noch immer den Umhang, aber nicht mehr den Schal vorm Gesicht. Sie breitete die Arme aus, als wolle sie Romuald umarmen, überlegtees sich aber anders, kam nur einen Schritt auf ihn zu, fiel auf die Knie und umarmte seine Beine.
»Gott segne Sie, Dr. Nowak!«, rief sie aus.
Würde man behaupten, Romuald Nowak sei überrascht gewesen, so wäre das eine krasse Untertreibung. Er war wie vom Donner gerührt. Er wusste nicht, was das Verhalten der Margit Kaserer bedeuten sollte, vor allem, weil sie keine weiteren Erklärungen von sich gab, sondern anfing zu schluchzen. Romuald erwog, sie an den Armen aufzuheben, aber diese Geste hatte er bisher nur in Sandalenfilmen gesehen, wo große Gefühle auf diese Art ausgedrückt werden, kam nicht in »Quo vadis?« so eine Szene vor? Er erinnerte sich nicht.
»Bitte, Frau Kaserer, beruhigen Sie sich …«
Das war lahm, er wusste es selbst. Nach einiger Zeit
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