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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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abgenutzte Stiefeletten von besonders scheußlichem Braun.
    »Wir hatten schon Geld von den Eltern. Das ist aber alles für die Behandlung draufgegangen, drum sind wir jetzt sehrknapp. Wir wollten schon lang die Heizung sanieren, aber dazu müssten erst einmal die Fenster gemacht werden, die sind in einem Zustand …«
    »Moment – welche Behandlung?«
    »Na, die von der Marie. Das hat alles einen Haufen Geld gekostet, die Krankenkasse zahlt ja nicht alles …«
    Das war wohl wahr. Das Ding in ihrem Kopf. Das Gespräch erstarb. Das große Thema saugte alle Gesprächsbereitschaft auf; es fällt nicht nur schwer, dachte Romuald, über Krebs zu sprechen, es fällt sogar schwer, über etwas anderes zu sprechen, sobald der Krebs einmal genannt ist. Es half nur, das Thema zu wechseln.
    »Und jetzt geben Sie die Erpressung auf?«, fragte er.
    »Was? Ja, natürlich, was denken Sie denn von uns? Wir sind … völlig geläutert.«
    »Bitte, was sind Sie?«
    »Geläutert! Wir haben eingesehen, dass es grundlegend falsch war, was wir getan haben.«
    »Moment – einfach so?«
    Jetzt lachte Margit Kaserer laut auf. »Aber natürlich nicht, wo denken Sie denn hin! Es wurde uns natürlich gesagt …«
    »Wer hat Ihnen das gesagt?«
    »Na, Gott natürlich. Wer denn sonst?«
    »Aha. Gott hat Ihnen das gesagt. Persönlich. Ja, dann … er ist Ihnen erschienen?«
    »Ja! Das heißt, an den Anblick kann ich mich nicht mehr erinnern, man sagt ja, das Antlitz Gottes ist für Sterbliche unerträglich …«
    »Ja, davon habe ich auch schon gehört. Dann versteh ich aber nicht, wieso Sie hier sitzen, ich meine, Sie müssten doch eigentlich tot sein …«
    Für Ironie war Margit Kaserer unzugänglich. »Das ist ja eben das Gute an der Sache, wie es gelaufen ist: Ich hab dasAntlitz Gottes vergessen, verstehen Sie? Wenn man es vergisst, macht es einem nichts. Das ist so ähnlich wie bei den Leuten, die einen schweren Unfall haben, sie können sich an den Unfall selber gar nicht mehr erinnern, das ist alles gelöscht …«
    »Amnesie, aha. Klingt vernünftig.«
    »Ja, eben. Das ist alles sehr fein eingerichtet, meinen Sie nicht?«
    »Frau Kaserer, ich will jetzt nicht Ihre religiösen Gefühle verletzen, aber Sie wissen schon, dass ich Sie kurz davor mit einer Substanz besprüht habe …«
    »Ja, Herr Doktor, dafür wollte ich Ihnen noch einmal herzlich danken, auch im Namen von der Marie! Ohne diese Substanz wäre es natürlich nicht möglich gewesen – und wir würden beide noch in der Sünde verharren!«
    »In der Sünde verharren, soso … Frau Kaserer, ich wollte eigentlich sagen, dass Ihre religiösen Erfahrungen nur von dieser Substanz ausgelöst wurden. Ohne diese Substanz hätte es das alles nicht gegeben. Diese moralische Einsicht …«
    »… die Umkehr!«
    »Ja, genau, die Umkehr, das Auge Gottes  …«
    »Das Auge Gottes – das haben Sie schön gesagt! Daran sieht man es: Sie sind halt ein gebildeter Mann, Herr Dr. Nowak!«
    »Was? – Ja, mag sein. Aber darum geht es eigentlich nicht, es ist doch ganz egal, wie wir das nennen, mir kam das nur passend vor, die Bezeichnung meine ich … der Stoff ist einfach eine entheogen, eine Substanz, die …«
    »… die sozusagen Gott erzeugt , ich weiß schon: von theos , das heißt Gott , und dem Zeitwort genesthai , das heißt erzeugen, erschaffen .«
    »Woher … woher wissen Sie das?«
    »Na, woher wohl? Von den vielen Stunden Altgriechisch. In der Handelsakademie …«
    Sie lachte laut heraus. Es klang hell wie eine Glocke.
    »Sie sollten sich jetzt selber sehen!« Sie wischte die Lachtränen mit dem Taschentuch ab. »Sie schauen ganz entgeistert aus, Herr Doktor! Aber keine Sorge, das ist halt eine Nebenwirkung, oder! Sie dürfen nur nicht vergessen, das auf den Beipackzettel zu schreiben … wie soll man das formulieren: kann zu Kenntnissen des Altgriechischen führen!« Sie lachte wieder laut heraus. Er spürte, wie er den Boden unter den Füßen verlor. Das machte ihn ungehalten.
    »Schön, diese Sache mit dem Griechisch ist ein bisschen seltsam, das gebe ich zu, aber auch dafür wird sich eine rationale Erklärung finden lassen! Das ist auch gar nicht so schwer …« Der Boden unter den Füßen wurde wieder dicht. »Wie wär es damit: Wir benutzen ja nur einen Bruchteil der Speicherkapazität unseres Gehirns. Was, wenn das Griechische schon seit Urzeiten in dem unbenutzten Teil aufbewahrt wäre? Meine Substanz aktiviert einfach diese Kenntnisse. Da

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