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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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schien sich Margit Kaserer zu erholen, sie stand von selber auf, fasste mit beiden Händen seine Rechte und hielt sie fest. Sie wollte etwas sagen, aber die Gemütsbewegung verhinderte das, Tränen rannen ihr übers Gesicht, sie schluckte mehrmals. Er betrachtete sie. Im SPAR war ihm der verkniffene Zug an den Kaserer-Schwestern aufgefallen, den sie beide an sich hatten, nicht nur um den Mund, das Gesicht als Ganzes stand unter einer Spannung – aber nicht jener, die von Botox oder unterspritztem Hyaluron kommt, sondern von schlichter, langdauernder, lebenverzehrender Wut. Das war jetzt weg, die Züge wirkten weich, sie sah jünger aus.
    »Herr Doktor …«, begann sie, ein Schluchzen verhinderte die geplante Rede.
    »Kommen Sie rein«, sagte er. Sie folgte ihm ins große Wohnzimmer, er plazierte sie in einen Sessel und ging in die Küche, um zwei Tassen Kaffee aus der Maschine zu lassen. Während der durchlief, dachte er nach. Warum mach ich das? Es ergab keinen Sinn. Die Frau hatte ihn vor wenigen Stunden bedroht, um eine Riesensumme erleichtern wollen. Was war Erpressunganderes als Raub? Und jetzt ließ er sie eintreten und bot ihr Kaffee an. Aber es hatte ja schon mit dem Plan begonnen, die Schwestern Kaserer zu retten. Gegen jede Logik, gegen jedes wohlverstandene Eigeninteresse, gegen jede Zukunftsaussicht, die ihm geblieben war. Er trug die Tassen hinüber. Margit Kaserer hatte sich beruhigt.
    »Es tut mir so leid«, begann sie. »Wir hätten nicht …«
    »Wo ist Ihre Schwester?«, unterbrach er sie.
    »Daheim. Sie schläft.«
    »Wie haben Sie das geschafft? Sie war doch bewusstlos …«
    »Ich hab sie zum Auto geschleift, ein Stück getragen. Es ging dann irgendwie …«
    »Ich wollte Ihnen helfen«, sagte er mit leiser Stimme. »Eine Nacht im Freien wäre … ich weiß nicht …«
    »Haben Sie deshalb den Mantel an? Ach, Herr Doktor, das ist … ich meine, wir haben es doch verdient …« Sie begann zu weinen. Er nutzte die Unterbrechung, den Mantel und die Winterschuhe auszuziehen.
    Als sie sich beruhigt hatte, begann sie zu erzählen. Von dem eher schlechten Verhältnis zu Frau Dr. Leupold wegen des Katers, von der Entdeckung der Leiche der Frau Dr. Leupold und der nachfolgenden Entdeckung des Verschwindens der Tasche mit dem Geld, worauf ihnen dann die Idee gekommen sei … sich einen Anteil davon zu holen.
    »Einen recht beträchtlichen Anteil«, unterbrach sie Romuald.
    »Ja, Sie haben ja recht«, sagte sie darauf. Er wartete, ob noch irgendeine Erklärung oder Entschuldigung nachgeschoben würde, aber Frau Kaserer blieb stumm.
    »Sie dachten, er hat sie umgebracht?«, fragte er.
    Frau Kaserer nickte. Sie wirkte erschöpft. Sie trank den Kaffee in kleinen Schlucken, obwohl er nach ihrer ausführlichen Erzählung nur noch lauwarm sein konnte. Vielleicht eine Nebenwirkungder Droge, dachte er, Temperaturmissempfindung, das könnte doch sein, man müsste … er merkte, wie seine Gedanken um diesen Aspekt von Nummer siebzehn zu kreisen begannen, obwohl eine Missempfindung doch das Harmloseste war, was Nummer siebzehn auslöste. Es lag daran, dass er sich langweilte. Er hatte Mühe, sich auf die Auslassungen der Margit Kaserer zu konzentrieren. Zwei Leute versuchen etwas durchzuziehen, wovon sie keine Ahnung haben; sich das anzuhören, war kein Vergnügen. Nicht, dass er gewusst hätte, wie man eine zünftige Erpressung aufzieht, aber dass diese Sache eher nicht mit einem Brief beginnen sollte, dessen Buchstaben aus den »Vorarlberger Nachrichten« ausgeschnitten wurden, das war offensichtlich – wie bei einem schlechten Film, dachte er: Man sieht zu und weiß, das Zeug ist schlecht, ohne dass man den Punkt oder die Punkte namhaft machen könnte, wo das Ganze den Bach runtergeht …
    »Wozu hätten Sie denn das Geld gebraucht?«, fragte er. Das war an der Kaserer’schen Erpressung vielleicht noch das Interessanteste.
    »Zum Leben halt«, sagte sie, »es war ja nicht mehr viel da … Geld meine ich.«
    »Haben Sie denn so geprasst?« Romuald lachte, es klang gezwungen, weil die Frage blöd war. Man musste Margit Kaserer ja nur anschauen, um zu begreifen, dass die Bezeichnung »prassen« ihren Lebensstil noch nie beschrieben hatte und nie beschreiben würde. Sie trug unter dem fadenscheinigen Mäntelchen einen erbsenpüreefarbenen Pullover und dunkle Hosen aus einem Stretchmaterial, wie es in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bei Skihosen modern gewesen war. Dazu

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