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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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unter der Pelerine verbarg, war zu erkennen; Romuald vermutete, dass es sich nicht um einen waagrecht gehaltenen Spazierstock handelte, obwohl er diese Möglichkeit einen Augenblick erwog. Aber das hieße, dass die beiden noch dümmer waren als erwartet, das war keine realistische Option.
    Er machte zwei Schritte nach vorn, zog die P 38 aus dem Hosenbund und schoss in den Boden. Dort spritzte Laub auf, zehn Zentimeter neben dem linken Bergschuh der Figur mit dem verdächtigen Gegenstand.
    »Fallen lassen!«, schrie er, »los, sofort fallen lassen!«
    »Ich kann nicht, ich hab’s umgehängt!« Die Stimme klang heiser und hoch. Romuald richtete die Mündung auf den Kopf der vorderen Gestalt. »Tu, was er sagt«, ließ die sich nun vernehmen. Etwas tiefer die Stimme, aber definitiv auch nicht die eines Mannes. Das stimmte Romuald milde, was ihn selber wunderte. »Was soll das heißen, umgehängt?«, fragte er.
    »Na, umgehängt halt! Der Riemen über den Kopf, verstehen Sie? Ich muss erst den Umhang ausziehen …« Die Person nahm den Hut ab, zog die Pelerine über den Kopf. ZumVorschein kam eine MP 40 am langen Ledergurt, vorne war ein Riesentrumm Schalldämpfer montiert, offensichtlich eine Amateurkonstruktion. Romuald fing an zu lachen. »Mit dieser Adjustierung rennen Sie in der Gegend rum? Was machen Sie, wenn Sie die MP rasch verschwinden lassen müssen, bei einer Polizeikontrolle zum Beispiel?«
    »Daran haben wir nicht gedacht …«
    »Das sehe ich. Und nun zu Ihnen …« Er sprach die andere Vermummte an. »Runter mit dem Umhang! Ich will die Hände sehen. Und die blöden Schals nehmt ihr auch ab, alle beide!« Sie taten wie geheißen. Romuald blieb die Luft weg.
    »Das scheint Sie zu erstaunen«, sagte die vordere. Der selbstgefällige Unterton war nicht zu überhören.
    »Sie wohnen doch beide …«
    »Ja, wir wohnen dahinter, das unauffällige Haus – man kann auch sagen, das schon ein bisschen baufällige Haus …«
    »Jetzt übertreibst du aber!«, protestierte die andere. »Es ist nicht baufällig … es ist …« Sie begann zu keuchen, sank auf die nassen Herbstblätter.
    »Was hat sie?«, fragte Romuald.
    »Sehen Sie, das ist typisch«, sagte die andere. »Sobald jemand krank ist, wird er oder sie nicht mehr angesprochen! Es wird nur noch über die Person gesprochen. Sie fragen mich, was sie hat? Warum fragen Sie sie nicht direkt? So geht ihr mit allem um, was die geringste Schwäche zeigt!«
    »Entschuldigung, ich wollte nicht …«
    »Ach was, ich weiß schon, was Sie nicht wollten! Jemanden ansprechen, der krank ist. Krank! Denn sonst könnte die Krankheit ja überspringen, nicht wahr!«
    »Ich wollte wirklich nicht …«
    »Erzählen Sie mir doch nichts! Meine Schwester hat Krebs. Einen Tumor …«
    »Hören Sie auf!«, brüllte Romuald. »Sofort aufhören!«
    »Einen Dreck werde ich tun!« Sie kreischte jetzt.
    Margit Kaserer kreischte alles heraus, was sich jahrelang aufgestaut hatte. Über die Behandlungen, die nichts nutzten, den Tumor im Kopf ihrer Schwester Marie, der immer größer wurde, langsam, aber doch. Romuald bekam fast nichts davon mit, weil er dagegen anbrüllte; später konnte er sich nicht mehr erinnern, was er alles von sich gegeben hatte. Er wollte von dem Thema nichts hören, keinen Satz, kein Wort, keine Silbe, nicht einen Ton. Aber Margit Kaserer war nicht die Person, die sich von einem Dr. Nowak einschüchtern ließ. Es lag an ihr und dem Leben, das sie bisher geführt hatte. Aber auch an der Stimme des Chemikers, die immer schwächer wurde, je mehr er sich aufregte. Und aufregen tat er sich schon, wenn er das Wort »Tumor« nur hörte, dann beschleunigte sich sein Puls, der Atem wurde flach, er verlor die Kontrolle.
    Wie jetzt.
    Er zog das Sprühfläschchen aus der Manteltasche und sprühte Margit Kaserer eine Landung mitten ins Gesicht. Die hustete, verschluckte sich, würgte unverständliche Satzbrocken hervor und ging in die Knie. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ebenso der Mund, aus dem nur noch ein schwaches Gurgeln kam. Romuald trat schnell ein paar Schritte zurück. Sein Herz raste, er atmete schwer. Margit Kaserer brach zusammen, blieb halb auf der Seite liegen. Die Droge wirkte.
    Die unerfreuliche Begegnung hätte hier ihr Ende finden können, wenn nicht Marie Kaserer mit dem Weinen angefangen hätte. Sie kauerte immer noch an derselben Stelle, wo ihre Kräfte sie verlassen hatten, und schluchzte vor sich hin. Romuald sprang auf sie zu

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