Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
Vom Netzwerk:
Überlegungen hatten die Erpresser offensichtlich geleitet, denn als Treffpunkt wurde einWaldstück oberhalb von Dornbirn vereinbart, das sogenannte »Kirchle«. Dr. Nowak hatte keine Ahnung, wo das lag, die Stimme unternahm auch keinen Versuch, ihm die Geografie zu erklären. Romuald wurde nur eingeschärft, das Geld, sein Handy und eine Taschenlampe mitzunehmen, dann in Richtung Ebnit zu fahren und jenseits der Brücke, die über die »Rappenlochschlucht« führte, an einer bestimmten Stelle links abzubiegen, nach dreihundert Metern anzuhalten und auf weitere telefonische Anweisungen zu warten. Die Rappenlochschlucht kannte Romuald wie jeder gebürtige Vorarlberger von einem Schulausflug, das »Kirchle« war ihm allerdings nur dem Namen nach bekannt. Er informierte sich im Internet. Es handelte sich beim »Kirchle« um eine sogenannte Gletscherrandschlucht aus der Endphase der letzten Eiszeit. Das Schmelzwasser von den Bergen fand seinen Weg noch auf halber Höhe von den Eismassen des Talgletschers versperrt und konnte nur parallel dazu abfließen, wobei es sich im Lauf weniger tausend Jahre tief ins weiche Kalkgestein grub und schluchtartige Gebilde schuf. Nicht das Eis gab nach, sondern der Fels. Bis der Talgletscher dann doch geschmolzen war, das Wasser kürzere Wege nach unten fand und die ausgewaschenen Höhlungen trocken zurückließ. Eine solche Trockenschlucht war das »Kirchle«. Kein Bach am Grund, sondern meterdicke Schichten Buchenlaub von den Bäumen ringsum. In einem Heimatbuch aus der Bibliothek der Frau Dr. Leupold fand Romuald noch andere Hinweise: Es gab neben dem »Kirchle« noch andere Trockenschluchten, aber so unzugänglich im steilen Gelände, dass es einem Deserteur aus Dornbirn gelungen war, den ganzen Zweiten Weltkrieg dort unterzutauchen. Nur im Schutz der Dunkelheit habe er sich ins Tal begeben und von Helfern mit Lebensmitteln verpflegen lassen; ein Wunder sei es gewesen, dass er die halsbrecherischen Klettereien unbeschadet überstanden habe.
    Romuald tat, wie ihm geheißen. Er fuhr um Viertel vor vier in Richtung der Berggemeinde Ebnit, bog nach der Brücke links in einen Forstweg ab und parkte das Auto nach dreihundert Metern. Von hier aus würde es zu Fuß weitergehen, nahm er an. So war es auch. Vier Minuten nach seiner Ankunft meldete sich die Stimme auf dem Handy.
    »Steigen Sie aus und gehen Sie rechts weiter. Da kommt dann ein Fußweg von rechts, es ist aber kein Schild dort, sie müssen aufpassen, dass Sie nicht vorbeilaufen.«
    Romuald versprach aufzupassen. Er fand den Pfad und bog ein. Lichter Mischwald, Fichten, Tannen und Buchen, deren rötliches Laub den Boden bedeckte. Auf dem Fußweg bildeten die Blätterschichten rutschigen Untergrund, der immer gefährlicher wurde, je steiler das Terrain abfiel. Romuald tastete sich Schritt für Schritt nach unten. Das »Kirchle« kam in Sicht, ein zwei oder drei Meter breiter Spalt im Felsen, der Pfad verschwand vor dem Eingang hinter mannshohen Felsbrocken. Der Chemiker kam näher, hinter den Felsen ging es noch steiler nach unten. Er blieb stehen. Das Handy läutete.
    »Gehen Sie einfach runter, es sind nur noch ein paar Meter!«
    »Und dann?«
    »Dann legen Sie das Geld auf den Boden und gehen zum anderen Ausgang.«
    »Zu welchem Ausgang?«
    »Dem von der Höhle natürlich …«
    »Das ist keine Höhle, oben ist doch alles offen.«
    »Ja, wenn schon! Gehen Sie einfach weiter!«
    »Vergessen Sie’s! Ich lege dort kein Geld ab, ich will Sie sehen!«
    »Was? Warum denn?«
    »Das ist halt meine Bedingung … ich bin auf Ihre Bedingungen eingegangen und zu diesem hirnverbrannten Treffpunkt gewandert, jetzt gehen Sie auf meine ein …«
    »… aber …«
    »Kein Aber! Sie haben von jetzt an zwei Minuten, sich zu zeigen, dann mach ich mich auf den Rückweg!« Um eine fruchtlose Debatte zu verhindern, schaltete er das Handy ab. Eine Minute war noch nicht verstrichen, als zwei dunkle Gestalten aus dem Schutz der Bäume traten. Sie hatten ihn die ganze Zeit beobachtet, was ihn nicht wunderte. Beide trugen grüne Lodenpelerinen und Filzhüte, an den Füßen Bergschuhe. Jedes Gesicht hinter einem dunklen Schal, nur die Augenpartie frei.
    »Ich hätte auch so was anziehen sollen«, sagte Romuald und deutete auf die Schuhe der Vermummten. »Dann hätt ich mich eher runtergetraut.« Er deutete auf seine schwarzen Halbschuhe. Die beiden kamen näher. Arme und Hände waren nicht zu sehen, aber dass die hintere Figur etwas Längliches

Weitere Kostenlose Bücher