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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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nicht von Zuständen lebt, sondern von Zustandsänderungen. Es muss etwas passieren. War der Ausgangszustand idyllisch, ist der nächste, nachdem eine Änderung eingetreten ist, weniger idyllisch. Oder überhaupt gleich das Gegenteil. Das liegt in der Logik der Sache, da kann der Erzähler nichts dafür.
    Dennoch bleibt es rein logisch ein Rätsel, warum Mauritius Schott auf die Idee verfiel, seiner Angebeteten die Bilder auf der gefundenen Canon EOS-1 zu zeigen. Hätte er das Ding nicht einfach in einen Schrank räumen und dort vergessen können? Oder beim Fundbüro abgeben? Nein, das hätte er nicht. Er musste (das ist aber nur eine Theorie) seine geliebte Hildegard in seine Geheimnisse einweihen. Jetzt werden Sie einwenden, das größte Geheimnis sei doch der Diebstahl des Geldes in der Leupold-Villa, und damit haben Sie recht, aber eben: Es ist sein größtes Geheimnis, und damit fängt man nichtan. Sondern mit einem kleineren. Um zu sehen, wie die Partnerin darauf reagiert. So hat es sich Schott selber danach zusammengereimt. Viel später. Als die anderen Sachen alle schon passiert waren. Denn wenn sie ihm, so hat er sich überlegt, nach Kenntnisnahme der Kameraauffindungsgeschichte gleich mit der Polizei gekommen wäre, hätte er mit der Geldauffindungsgeschichte nicht mehr herausrücken müssen. Es war, so sagte er sich später, die Sehnsucht nach Vertrauen, was ihn veranlasst hatte, Hildegard in die Kamerageschichte einzuweihen. Ich bin ein Idiot, sagte er sich, ich war immer einer und werde immer einer bleiben. Und ich habe noch Glück gehabt …
    Sie saßen nebeneinander auf dem Sofa im Wohnzimmer und betrachteten die Bilder auf dem Display der EOS-1. Schott hatte ein Bier vor sich, Hildegard die Kamera. Er war gespannt auf ihre Reaktion. Sie zappte durch die Bilder und sagte nichts.
    »Hast du die auch auf dem Computer?«, fragte sie.
    »Ja«, sagte er. Das wäre die letzte, wenn auch nicht besonders aussichtsreiche Gelegenheit gewesen, die Frau Dr. Rhomberg von der Betrachtung der vergrößerten Bilder abzubringen. Auf dem Display der Kamera konnte man keine Details erkennen. Aber er ließ der Sache ihren Lauf. Er sagte »ja«. Also musste er ihr das Verzeichnis mit den Fotos auf seinem Computer öffnen. Weshalb sich das Geschehen vom gemütlichen Wohnzimmer in das ungemütliche Zimmer im ersten Stock verlagerte, das er als Büro benutzte. Sie sah sich die Bilder auf dem Computer an und betrachtete sie mit großem Interesse. Nur die aus dem Kellerlabor der Leupold-Villa. Er stand hinter ihr, sie saß auf dem einzigen Stuhl. Die Atmosphäre lud sich auf, das spürte er. Sie fuhr in den Laborbildern vor und zurück, näherte das Gesicht dem Bildschirm.
    »Das ist ein Drogenlabor«, sagte sie.
    »Das hab ich mir auch gedacht. Ich war mir nur nicht sicher, ich hab doch keine Ahnung von Chemie …«
    Der Schweiß brach ihm aus.
    »Wir müssen die Polizei verständigen«, sagte sie. Er fing an zu lachen. Es war aus.
    »Was ist daran lustig?«
    »Nein, nein, hat nichts mit dir zu tun …« Er beruhigte sich. Er sollte jetzt weinen, es war ihm danach zumute, es ging aber nicht, keine einzige Träne. Es wäre so schön gewesen. Im Grunde war es aber klar, dass er eine Frau wie Hildegard nicht verdiente; er hätte auch von Anfang an draufkommen können. Das ging einfach nicht. Für ihn gab es nur Frauen vom Bianca-Typ. Es ging jetzt nur darum, die Sache zu Ende zu bringen. Zivilisiert, ohne Zusammenbruch, ohne Geheul. Das konnte und würde er alles anhängen, wenn sie weg war. Wenn sie sein Haus verlassen hatte. Dann würde er zusammenbrechen. Und dann würde er selber sein Haus verlassen. Ein paar Jahre. War das jetzt schwerer Diebstahl? Oder leichter? Gab es das überhaupt, leichten Diebstahl – was war eigentlich der Unterschied zu Raub? Fragen über Fragen, die er dann mit seinem Anwalt diskutieren konnte. Ach richtig, einen Anwalt brauchte er auch. Günther Hagen fiel ihm ein, mit dem war er in die Schule gegangen …
    Hinter Schott ertönte Miauen. Er drehte sich um, Hildegard auf ihrem Stuhl auch. Sami saß in der Tür und forderte menschliche Aufmerksamkeit. Jetzt trabte er auf Hildegard zu und sprang ihr auf den Schoß. Er setzte sich aufrecht hin, was auf den abschüssigen Oberschenkeln nicht einfach war, drehte ihr den Kopf zu, dann schaute er wieder Schott an, seinen neuen Gott. Als warte er auf den Beginn der Vorstellung. Man soll Katzen nicht warten lassen, dachte Mauritius Schott. Noch

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