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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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gerechnet, mit viel Eigenarbeit gebaut. Billiger Dreck. Früher hatte sie der Anblick der Küche deprimiert oder geärgert, je nach Stimmung. Jetzt war es ihr egal. Gebrauchsspuren am Mobiliar nach fast fünfzig Jahren: Das war doch normal. Konnte man keine Gelben Rüben auf einem Tischschneiden, weil die Ecken abgestoßen waren? Sie lachte. So absurd war das, so absurd hörte es sich an. Ihre Einstellung vorher. Genau so musste man es ausdrücken, um sich das Ausmaß der Metanoia klarzumachen, der inneren Umkehr.
    Sie holte das Gemüse aus der Vorratskammer, Gelbe Rüben, Zwiebeln, Sellerie, und legte das große Schneidbrett auf den Tisch. Und was heißt, bitte, dunkel? Der Tisch stand unter dem Fenster, das Licht zum Arbeiten war ausgezeichnet. Sie begann die Rüben zu schälen. Bei der dritten hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden, und blickte auf. Draußen saß eine Katze auf dem Fensterbrett. Dieser weiße Kater mit der seltsamen Zeichnung. Nicht der Sami von der Frau Leupold, sondern der andere, der aussah, als ob man ihm eine Decke übergehängt hätte, rötlich gelb. Das Tier miaute, Margit konnte es durch die Scheiben hören. Sie machte das Fenster auf. Der Pferdedeckenkater schlüpfte herein. Er sprang vom Tisch auf den Boden, sah sich in der Küche um und blickte Margit mit großen, gelben Augen an.
    »Willst du was zu fressen?«, fragte sie. Der Kater miaute. Ein schöner, reiner Ton.
    »Dann werde ich einmal schauen, was wir für dich haben«, sagte Margit und öffnete den Kühlschrank, der seinen Dienst auch schon vierzig Jahre versah. Mit betrüblich hohem Stromverbrauch, das schon, aber vielleicht würde von den Dreißigtausend vom freundlichen Dr. Nowak noch etwas für einen neuen übrig bleiben … Aufschnitt vom Vortag müsste noch da sein. War das nicht der Kater, den Marie vor wenigen Wochen ins Haus der armen Frau Leupold verfolgt hatte? Genau, damit hatte alles angefangen. Und warum war Marie so sauer gewesen? Weil der Pferdedeckenkater in den Garten … sein Geschäft erledigt hatte. Na und? Irgendwo musste er doch, da war es ganz natürlich, dass er sich eine Stelle mit weichem Boden aussuchte, weil die Katzen ihre Ausscheidungen ja vergraben,es wenigstens versuchen, es sind ja reinliche Tiere … Margit nahm das Wurstpaket heraus.
    »Magst du Aufschnitt?«, fragte sie den Pferdedeckenkater.
    Marie erwachte von einem Geräusch. Es kam aus der Küche. Sie konnte es nicht zuordnen, war sich nicht einmal sicher, ob es tatsächlich aus der Küche stammte oder aus ihrem Traum. Seit der Begegnung mit Dr. Nowak, an die sie freilich nicht die mindeste Erinnerung besaß, träumte sie, sobald sie die Augen zumachte. Es musste an der Substanz liegen, mit der er sie eingesprüht hatte. Lebhafte, außerordentlich plastische Träume. Wenn sie im Halbdunkel in ihrem Sessel saß, brauchte sie nicht einmal die Augen zu schließen, schon fing es an. Träume in 3-D mit Stereoton. Es ging immer um irgendwelche Gefahren und ihre Abwehr. Finsterlinge bedrohten das Haus, die Schwester und sie selbst. Aber sie hatte keine Angst, im Gegenteil. Sie zeigte denen, wo der Hammer hängt. Sie zerstörte die Angreifer, einen nach dem anderen. Mit allen möglichen Waffen, die sie im Traum beherrschte wie ein Profi. Sie hatte Margit nichts von diesen Träumen erzählt. Das ging sie nichts an, das war ihre eigene Sache.
    Das Geräusch kam nicht aus dem Traum, es hätte auch nicht hineingepasst, denn da war es um eine wilde Schießerei mit einer Bande Vergewaltiger gegangen, die sich in der Leupold-Villa verschanzt hatten. Das, was sie jetzt hörte, war ein tiefes Knurren. Von einem großen Tier. Sie stand auf und schlich in die Küche. Margit stand mit dem Rücken zur Wand, buchstäblich an die Rückwand der Küche gepresst, kreideweiß im Gesicht, was man auch verstehen konnte, saß doch ein Tiger vor ihr. Mitten in der winzigen Küche. Margit zitterte am ganzen Körper, der Tiger knurrte. Wieso hatte sie den reingelassen? Das Fenster stand offen. Marie suchte den Blick ihrer Schwester, legte den Finger auf die Lippen und verschwand im Treppenhaus. Die Stufen knarrten, aber darauf konnte sie jetztkeine Rücksicht nehmen. Bitte, bitte, kein Anfall jetzt! Es kam auf jede Sekunde an. Sie hatte nach der Heimkehr aus dem Wald die MP 40 einfach unters Bett geschoben und nicht mehr im Dachboden in dem kompliziert gebauten Versteck untergebracht, das ihr Vater gebaut hatte. Das war jetzt ein Glück – sie zog die Waffe

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