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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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billiger mieten können – wenn es nur darum ging, die Tage des Lebens darin abzusitzen vor dem Fernseher, Fraß in der Mikrowelle aufzuwärmen, zu trinken und das Sparkonto zu lehren, langsam, aber stetig. In Wien waren die Aussichten, aus der Misere herauszukommen, trist. In Feldkirch waren sie schlicht nicht vorhanden. Aber er war hier geboren und konnte Wien nicht mehr ausstehen. Irgendetwas würde sich finden. Gerade hier, in Feldkirch-Gisingen. Und er hatte recht behalten.
    »Ich meine, das ist ja nur ein Vorschlag«, sagte Manfredo. »Du hast natürlich auch andere Möglichkeiten. Nicht in der Chemie vielleicht – wie alt bist du jetzt?«
    »Zweiundfünfzig.«
    »Ts, ts. Nun ja, da wird es freilich ein bisschen schwierig auf dem Markt.«
    Manfredo hatte sich nicht verändert. Er redete noch genauso blöd daher wie immer schon. Dr. Nowak kannte ihn schon länger, weil Vorarlberger in Wien dazu neigen, einander zu kennen; eine bestimmte Abart von Vorarlbergern, zu der er gehörte, wie er wohl wusste.
    »Zweiundfünfzig, sagst du?«, fuhr Manfredo fort. »Das ist zu alt für die Industrie. Ich glaube, das darf man sagen.«
    »Ja.« Nowak war kaum zu verstehen.
    »Bliebe die Landesregierung, die haben doch so eine Umweltabteilung mit Labor …«
    »Da hab ich schon gefragt«, sagte Dr. Nowak, eine Spur lauter. »Kein Bedarf.«
    »Ach so? Na, dann müsstest du halt von den Rücklagen leben und von der Pension … später. – Oder aber eben«, fuhr er nach einer Pause fort, »du arbeitest für mich.«
    »Für dich«, sagte Dr. Nowak, als wiederhole er einen Satzteil aus einer komplizierten Abhandlung, der er nicht ganz folgen konnte.
    »Zu den erwähnten Konditionen, die, wie du zugeben musst, sehr günstig sind. Für dich, mein Lieber.«
    »Ich hätte nicht kommen sollen«, sagte Dr. Nowak.
    »Verzeih, ich kann dir nicht folgen. Kommen sollen – wohin?«
    »Zu dieser verdammten Feier!« Er hatte in den ersten Monaten nach der Jobkatastrophe die kranke Gewohnheit angenommen, die Treffen des Vereins der »Vorarlberger in Wien« zu besuchen.
    »Warum? Was war da so Schlimmes? Mir ist nichts aufgefallen, ich war ja auch da.«
    »Eben. Du warst da. Wärst du nicht da gewesen, hätte ich dirnichts erzählen können – über mich, die Firma, wie alles den Bach runtergeht.«
    »Dann hättest du es jemand anderem erzählt.«
    »Nein. Die anderen hatten gar kein Interesse. Die wollten nur Erfolgsgeschichten hören, eine immer noch besser wie die andere. Du hast mir zugehört …«
    »Ich hör den Menschen gern zu«, sagte Manfredo Gonzales Leupold. »Das ist meine Berufung. Ich höre ihnen zu und erfahre so, was sie brauchen.«
    »Und das verkaufst du ihnen dann …«
    »Ja, das verkaufe ich ihnen.«
    »Du glaubst allen Ernstes, die brauchen kleine, weiße Pillen?«
    Manfredo stand auf und ging in dem Einzimmerapartment auf und ab. Er konnte in keine Richtung mehr als fünf Schritte machen, der Raum war klein.
    »Ja«, sagte er, »Pillen. Drogen. Das brauchen sie. Wenn du sie hörst, brauchen sie allerdings alles mögliche andere Zeug. Liebe, Zuneigung, Verständnis, Aufgaben, Lebenssinn, andere Eltern, andere Partner, andere Kinder – eine andere Vergangenheit. Verstehst du? Eine andere Vergangenheit! Darauf läuft es hinaus. Wenn ihre Vergangenheit nicht so gewesen wäre, wie sie ist, wäre alles besser für sie … das sagen sie nicht so, aber es läuft darauf hinaus.«
    »Ja, schon gut, das Stück heißt ›Die Apologie des Drogenhändlers‹, ich hab es verstanden …«
    »Das glaub ich nicht, Romuald, dass du das verstanden hast. Ich hab ja selber lang dazu gebraucht. Die Menschen quatschen dir die Ohren voll, was sie brauchen – alles Sachen, von denen jeder weiß, dass man sie nicht bekommen kann. Keine anderen Partner, Eltern, Kinder, Vergangenheit …«
    »Partner schon …«
    »Nein, eben nicht! Das ist ein weitverbreitetesMissverständnis. Die Partner sind ihrer Art nach vorgegeben wie alles andere! Das begreifen viele nicht … aber darauf kommt es nicht an. Wesentlich ist: Die Leute wissen, dass diese Dinge unerreichbar sind. Alle wissen das. Tief in ihrem Inneren sitzt die Erkenntnis: Man kann ein Leben ver pfuschen, aber nicht entpfuschen . Das Zeitwort entpfuschen existiert nicht, oder?«
    »Nein, das gibt es nicht«, sagte Dr. Nowak.
    »Nun eben: Die Situation ist asymmetrisch. Kaputt geht es schnell, reparieren ist unmöglich oder dauert …«
    »Sehr lang«, sagte Dr.

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