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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Nowak.
    »All das wissen die Leute. Ich weiß es auch. Du weißt es. Frage: Warum blasen sie dir dann die Ohren voll mit dem Scheiß?«
    Dr. Nowak spielte mit. »Ja, warum?«, fragte er.
    »Um eine Ausrede zu haben. Eine Ausrede für kleine, weiße Pillen. Im Unterschied zu anderer Vergangenheit, Lebensglück, Erfüllung und so weiter sind das nämlich Dinge, die sie bekommen können. Kleine, weiße Pillen.«
    Er zog eine kleine Pappschachtel aus der Hosentasche und öffnete sie. »Noch so ein Punkt. Meistens sind sie das gar nicht. Weiß nämlich. Schau’s dir an!«
    Dr. Nowak begutachtete den Inhalt der Schachtel. Die Pillen darin zeigten unregelmäßige, braune Verfärbungen. Weiß war keine.
    »Aus Polen«, sagte Manfredo. »Angeblich. Weißt du, was das Braune ist?«
    »Dreck.«
    »Eben. Die kristallisieren nicht einmal um!«
    »Nein, natürlich nicht. Was ausfällt, wird abfiltriert, halbwegs getrocknet und tablettiert. Ausbeute hundert Prozent …«
    »Sogar hundertzehn!« Manfredo lachte. Dr. Nowak musste auch lachen.
    »Mit dem Zeug überschwemmen sie den Markt. Gewissenlos ist das!«
    »Du sagst es. Dagegen deine Produkte – die könnten direkt im Österreichischen Arzneimittelbuch stehen, nicht wahr?«
    »Na ja, fast. Auf jeden Fall sind sie umkristallisiert und haben einen scharfen Schmelzpunkt …«
    »Bravo! Sehr brav. Deine Oma war eben sehr gewissenhaft. Und damit der hohe Standard gewahrt bleibt – im Sinne der Volksgesundheit und so weiter –, sollte ich jetzt …«
    »… die Produktion übernehmen. Genau.«
    Für Ironie hat er kein Ohr, dachte Dr. Nowak. »Warum machst du es nicht selber? Du weißt doch, wie es geht.«
    »Ich hab nicht die Hände dafür. Hat Oma gesagt. Ich hab ihr manchmal geholfen – am Anfang. Sie war nicht sehr begeistert. Sie war mehr für Arbeitsteilung. Keiner kann alles können, hat sie gesagt.«
    »Deine Oma war eine kluge Frau.«
    Manfredo setzte sich wieder. »Also, was ist?«, fragte er. Dr.  Nowak blickte auf, sah Manfredo an. Ein bleiches Gesicht mit hoher Stirn, die Augen hinter den Brillengläsern vergrößert, schütteres, blassblondes Haar. Er sieht richtig scheiße aus, dachte Manfredo, er hat sich nicht gut gehalten, er sah doch früher nicht so aus … so … so kaputt. Die Wirkung des Unglücks. Manchen sieht man es mehr an, anderen weniger. Dem Romuald sieht man es sehr deutlich an, in ganz kurzer Zeit. Das ist doch erst ein Jahr her, dass die Firma … geschieden ist er auch, aber das war er … wie war das … ah ja. Geschieden war er schon ein Jahr vorher. Man sagt doch, es dauert ein Jahr, bis sich einer erholt hat von der Trennung. Und dann, als er sich eben wieder derrappelt, kommt das berufliche Aus. Romuald Nowak hatte allen Grund, so auszusehen, wie er aussah. Und wenn du nicht aufpasst, Manfredo, dachte er, siehst du in einem Jahr auch so aus. Du musst verflucht aufpassen!
    »Ich werde dir helfen«, sagte Dr. Nowak in die Stille des Apartments. »Ich werde dir helfen. Ich werde euch allen helfen.«
    Entgegen seiner Gewohnheit dachte Manfredo noch eine Zeitlang über den letzten Satz nach, als er das eher schäbige Treppenhaus in dem Block in Feldkirch-Gisingen hinunterstieg; aus einem Grund, der ihm jetzt nicht mehr klar war, hatte er versäumt, gleich nachzufragen – »ich werde euch allen helfen« klang doch bedrohlich, oder nicht? Stattdessen hatte er sich auf den ersten Satz konzentriert und sich beeilt, die technischen Einzelheiten zur Sprache zu bringen. Wann würde Dr. Nowak umziehen, wie viel Prozente vom Umsatz wären angemessen und so weiter, wobei der Chemiker die Erstvorschläge Manfredos akzeptiert hatte, mit einer gewissen Hast, wie Manfredo jetzt auffiel; als brenne der Nowak darauf, dass es endlich losging. Manfredo war bei diesen Vorschlägen unter den Marken geblieben, die er als angemessen und im Einklang mit den guten Sitten betrachtete; das gehört sich so. Wie sonst sollte eine Verhandlung zustande kommen, wo jeder ein wenig nachgab und jeder das heimelige Gefühl eines »ehrlichen« Kompromisses empfinden durfte? Aber für solche Umgangsformen hatte dieser Nowak keinen Sinn, typisch Chemiker halt …
    Der Umzug erfolgte eine Woche später in einem von Manfredo gemieteten Kastenwagen. Es gab nur eine Fahrt, und nicht einmal da wurde das Auto voll; Manfredo war das peinlich, er hatte die Habseligkeiten Dr. Nowaks an Zahl und Art überschätzt, die persönlichen Besitztümer des Chemikers hätten in

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