Das unsagbar Gute
»Delka« stammen; der Mantel nicht von H&M. Dazu dann das Labor. Das allein ginge durch, pensionierte Chemielehrerin und so weiter, aber das Labor und Manfredo Gonzales Leupold mit seinem Angeberangeziehe in Verbindung mit einem in hohem Maße ungeregelten, vor allem aber lächerlich niedrigen Einkommen – das konnte er nicht riskieren. Eine zu riskante Wette auf die Dummheit der Polizei.
Also durfte der Tod der Oma nicht gemeldet werden. Das geht nun aber nur, wenn die Oma nicht gestorben ist. Die Oma darf nicht gestorben sein, völlig logisch. Sie ist nicht gestorben, sondern verreist. Weit weg. Nach Spanien, jawohl, zu ihrer Tochter. Die Beschwernisse des Alters, das bessere Klima und so weiter … und der Enkel passt derweil auf das Haus auf. Nein, nicht der Enkel, da gab es etwas Besseres, aber das hatte noch Zeit – und »derweil« – was heißt das? Ein paar Monate oder so. Dann würde die Oma entscheiden, dass sie überhaupt unten bleibt.
Manfredo stand auf. Diese hübsch nacheinander sich vorstellenden Gedanken, das Geregelte, das gefiel ihm. Weiter so. Er holte Kehrschaufel und Besen, kehrte die Glühbirnensplitter zusammen. Dann ging er in den Keller. Die Tiefkühltruhe war halbleer wie immer, das Gerät hatte die Großmutter gegen seinen Rat gekauft, viel zu groß für den Einpersonenhaushalt; jetzt war er froh darüber.
Viel Arbeit, anstrengend. Danach war er schweißgebadet. Emotional hatte es ihn nicht so mitgenommen wie befürchtet; die analytische Kühle war geblieben. Die Oma, außerdem, hätte es so gewollt. Dass er weiter so sein konnte.
Als er die Truhe wieder eingeräumt hatte, ließ er sich Wasser für ein Bad einlaufen.
3
Dr. Romuald Nowak hatte große Probleme zu begreifen, was sein Gegenüber von sich gab. Verstanden, akustisch und inhaltlich, hatte er es schon, aber es als wahr zu nehmen, also wahrzunehmen , fiel ihm schwer; das Ganze hörte sich an wie eine durchgeknallte Performance-Idee, was für den guten Manfredo typisch gewesen wäre.
Sie saßen in der kleinen Wohnküche des Apartments in Feldkirch-Gisingen am Küchentisch einander gegenüber, Manfredo erwartungsvoll, Dr. Nowak versonnen in seinem Kaffee rührend. Er sagte lange Zeit nichts, nachdem Manfredo zuerst noch viel längere Zeit geredet hatte.
»Ich kann es nicht glauben«, sagte er dann, »ich kann es einfach nicht glauben.«
Manfredo zuckte die Achseln. Dann sagte er: »Ich hätte auch nicht geglaubt, dass du einmal so wohnen wirst. So wohnen müssen wirst …«
Nowak senkte den Blick. Er schämte sich. Scham war das seit Monaten nicht nur bestimmende, sondern geradezu durchsetzende, fast zersetzende Gefühl seiner Existenz. Er hatte, wie er meinte, allen Grund dazu. Andere, das wusste er wohl, hätten es einfach großes Pech genannt, nicht verwunderlich in diesen Zeiten – es war ja abzusehen, dass es viele Leute erwischen würde, auch solche seiner Qualifikation, auch wenn in der Zeitung immer nur von »unteren Einkommensschichten« und »Prekariat« zu lesen war (weil man sich genierte, geradeheraus »Unterschichten« zu schreiben). Wenn Firmen sich restrukturieren, dann erwischt es halt auch die Leistungsträger, nicht nur die Hackler.
Dr. Nowak hatte die Möglichkeit einer solchen Restrukturierung zwar theoretisch anerkannt – wie man die prinzipielle Möglichkeit anerkennt, von einem Meteoriten getroffen zu werden, aber die Wahrscheinlichkeit dafür noch geringer eingeschätzt als den Meteoritentreffer. Dennoch war genau das passiert: Die Wiener Forschungsniederlassung eines multinational tätigen Pharmagiganten war aufgelassen worden; multinational tätig war der Gigant immer noch, nur halt nicht mehr im kleinen Österreich (und nebenbei, auch nicht mehr im großen Japan), aber für Dr. Romuald Nowak war das auch kein Trost. Er hatte versucht, in Wien etwas anderes zu finden. Vergeblich. Er hätte in glücklicheren Tagen die Wohnung am Judenplatz kaufen sollen. Dann hätte er jetzt eine gewisse Rücklage gehabt. Aber damals hatte er sich nicht getraut. Die viel zu teure und viel zu große Mietwohnung konnte er nicht halten; sie erforderte sowieso ein zweites Gehalt. Am besten das einer ehrgeizigen Bankmanagerin. Schon als die gewesene Frau Nowak ausgezogen war, hatte er es gespürt. An vielem. Auch und sehr deutlich finanziell. Als der Job weg war, kehrte er Wien den Rücken, ging zurück nach Feldkirch, eine irrationale, unvernünftige Entscheidung, denn so ein Apartment hätte er in Wien
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