Das unsagbar Gute
einen Kombi gepasst. Viel mehr Raum und Gewicht nahmen jene Geräte in Anspruch, die Dr. Nowak aus den Beständen seiner alten Firma zu stark reduzierten Preisen erworben hatte: ein HPLC-System, Glasgeräte für alles und jedes, eine Vakuumpumpe, sogar ein Infrarotspektrometer – all das war nicht nötig, um die Werke der verblichenen Frau Dr. Leupoldfortzuführen, wie ihr Enkel wohl wusste. Andererseits konnte man einem 1a-Chemiker wie dem Dr. Nowak auch nicht seine Spielzeuge und damit jeden Lebensmut nehmen; es war ja klar, dass der gute Romuald Nowak mit der Herstellung von Methamphetamin und Konsorten geradezu olympisch unterfordert sein würde, aus so etwas erwachsen gern Depressionen, Schlampereien, und schließlich und endlich Polizeikontakte. Die aber galt es unter allen Umständen zu vermeiden. »Ich weiß mich trefflich mit der Polizei, doch schlecht mich mit dem Blutbann abzufinden«, fiel Manfredo dazu ein, der an einer ebenso freien wie kurzlebigen Wiener Kellerbühne einst den Mephisto gegeben und über die Sinnhaftigkeit dieses Satzes schon damals gegrübelt hatte. Seit Goethe mussten sich die Verhältnisse radikal geändert haben, denn heute war es genau umgekehrt: Mit dem bisschen Blut aus dem Ohr der Oma hatte er keine Probleme, wohl aber hätte er massive solche, wenn die Polizei auch nur in die Nähe der Kelleraktivitäten käme. Polizei war ganz schlecht.
Sie räumten die Geräte, alle in Kartonagen gehüllt, an einem winterlichen Abend in den Keller der Leupold-Villa. Dr. Nowak stellte sie gleich auf und schloss alles an. Manfredo richtete im ersten Stock das Gästezimmer her. Es war ein großer Salon mit dunklen Möbeln der vorletzten Jahrhundertwende und einem Ikeabett an der Außenwand. Es gab einen Schreibtisch, einen Kasten, ein Bücherregal, ein Sofa, einen kleinen Tisch und einen etwas ramponierten Ohrensessel mit grünem Bezug.
»Sehr schön«, sagte Dr. Nowak beim Betreten des Raumes.
»Freut mich, dass es dir gefällt. Das Bett ist ein Stilbruch, aber sonst kannst du dich fühlen wie Dr. Freud.«
»Warum Freud?«
»Wegen der Epoche. Einen berühmten Chemiker aus der Zeit kenn ich nicht.«
Nowak lachte. Zum ersten Mal seit langer Zeit, es klang, alshätte er ein wenig die Übung verloren. »Mir fielen da schon ein paar ein. Zum Beispiel Karl Theophil Fries, der Entdecker der Fries-Verschiebung. Da lagern sich Phenylester aromatischer oder aliphatischer Carbonsäuren in Acylphenole um.«
»Was du nicht sagst!«
Nowak lachte wieder, lauter diesmal und länger. Er ist, dachte Manfredo, ganz einfach verrückt – es geht ihm gut, wenn er diese Apparate um sich hat und so etwas wie ein Labor; der Anblick von Chemikalienflaschen, das ganze Glasgraffel, das macht ihn high … wie gut, dass ich ihn habe. – Gott segne ihn! Beim letzten Gedanken erschrak er über sich selbst, er hatte noch nie jemanden dem Segen Gottes empfohlen, was einfach daran lag, dass er nicht religiös war, nicht für die sprichwörtlichen zwei Groschen; für seinen Brotberuf, den Vertrieb von indizierten Substanzen, war das ein Vorteil, weil es Skrupel von dieser Seite ausschloss. Und andere Skrupel aus einer privaten Moral, dem Gewissen des Einzelnen oder solchen Sachen – solche hatte er auch nicht, weil es die nach seiner Meinung nicht gab. Ge- und Verbote hatten samt und sonders einen religiösen Hintergrund, wem der fehlte, wie ihm selbst, bewegte sich frei in der Welt.
Wie kam er also auf diesen Spruch? Vom Fernsehen vielleicht; er schaute zu viele amerikanische Serien an, dort wurde das Religiöse als natürlicher Bestandteil des Sozialen behandelt; die Amis hatten sowieso einen Schuss mit ihrer Beterei und »Gott schütze dies und Gott schütze das« … vor allem natürlich Amerika.
(Nun scheint es aber so zu sein, dass bei solchen Sprüchen immer jemand zuhört. Es muss ja nicht unbedingt Gott sein. Jemand halt. Zu diesem Schluss würde Manfredo Gonzales Leupold sehr bald kommen: dass jemand oder etwas seinen Wunsch gehört und den Dr. Nowak »gesegnet« hatte. Wenn man denn den Begriff »Segen« etwas weiter als üblich zu fassenbereit war.) An diesem Punkt wurden Manfredos Überlegungen schlagartig unterbrochen.
Im Augenblick verschwanden Segenswunsch und daran hängende Gedanken aus Manfredos Bewusstsein, verdrängt durch drängende Probleme der Gegenwart. Dr. Nowak hatte die Tiefkühltruhe aufgemacht und einen Pfiff ausgestoßen.
»Davon hast du mir aber nichts erzählt«, sagte Dr.
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