Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
Vom Netzwerk:
Nowak, ernst und bekümmert. Etwa wie der Pater Spiritual in diesem dreimal verfluchten Internat, wo geistliche Herren versucht hatten, Manfredo das Lernen beizubringen. Für ihn war es die Stimme der Heuchelei und des Terrors, er reagierte auf den bloßen Klang allergisch.
    »Was?«, rief er lauter als beabsichtigt. »Ich hab doch gesagt, sie ist tot! Hab ich dir gesagt, ich erinnere mich genau!«
    »Meine Güte, reg dich ab! Du hast gesagt, sie ist vom Tisch gestürzt und an den Folgen gestorben.«
    »Na also!«
    »Ich hatte angenommen, dass sich diesem Todesfall eine in Mitteleuropa übliche Bestattungszeremonie angeschlossen hat – da lag ich wohl falsch …«
    Manfredo antwortete mit der typischen Frage, die seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer dann auf Vorwürfe geäußert wird, die erhoben werden, wenn etwas nicht so gelaufen ist, wie das in Mitteleuropa bis dato üblich war. Dr. Nowak hatte diese Gegenfrage öfter gehört.
    »Was hätt ich denn tun sollen?«
    In Mitteleuropa sind die Menschen (nämlich seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts) ein bisschen blöd geworden, so dass ihnen auf alle Anforderungen nur eine Reaktion einfällt, die des geringsten Widerstandes. Ebendenselben Satz hatte Dr. Nowak von seinem Laborleiter Sedlaczek vernommen, als er ihm im Verlauf einer erregten Auseinandersetzung völlige Untätigkeit vorgeworfen hatte – nachdem ihm die Schließungspläneder Konzernleitung geschlagene vier Monate vor der Restbelegschaft bekannt geworden waren. Aber Sedlaczek hatte einen besonderen Vertrag erhalten, wie später bekannt wurde, der seine gewohnte Existenz sicherte – allerdings nur in Kraft trat, wenn er kooperieren und die reibungslose Abwicklung der Vienna Laboratories organisieren würde. Das hat er dann ja auch gemacht … von daher war die Frage berechtigt: Was hätte er denn in drei Teufels Namen tun sollen? Wir sind alle absolut unfrei, dachte Dr. Nowak, wie Sklaven in der Antike; es gibt in unserem Leben überhaupt keine Gabelungen mehr, wo man sich wenigstens zwischen links und rechts entscheiden könnte. Alle gehen den Weg, den sie gehen müssen. Was hätten sie auch tun sollen? Dr. Nowak lachte laut auf.
    »Was ist so lustig?«, fuhr ihn Manfredo an. »Glaubst du, das hat Spaß gemacht, die eigene Oma …«
    »Nein, nein, beruhige dich, keiner macht dir einen Vorwurf, ich sowieso nicht. Aber du musst zugeben, das hier ist keine Dauerlösung. Ich brauch die Kühltruhe.«
    »Wieso denn! Ich meine, da ist doch noch genug Platz – Oma war ja überhaupt nicht groß, eins sechzig oder so, du könntest doch ein Brett reinlegen und die Flaschen oben draufstellen …« Seine Stimme wurde brüchig. Dr. Nowak machte den Deckel zu.
    »Manfredo«, sagte er, »nimm dir das nicht so zu Herzen. Es ist deine Oma, das versteh ich schon. Aber sie kann nicht hierbleiben …«
    »Aber wir könnten doch eine zweite Truhe …«
    »Die Truhe ist keine Lösung! Vergiss es! Deine Oma muss aus dem Haus!«
    »Wohin denn?«
    Darauf sagte Dr. Nowak zunächst einmal nichts. Es war eine komplizierte Frage. Es missfiel ihm, wie die Dinge liefen. Er hatte gehofft, in den nächsten Tagen mit der Arbeit beginnenzu können. Mit der gefrorenen Oma Leupold im Hintergrund war daran nicht zu denken. Wer mit Provisorien anfing, schleppte den Keim des Misserfolgs ein.
    »Wir können sie nirgends hinschaffen«, sagte er nach längerer Pause. »Wir müssen den Leichnam hier im Haus irgendwie … behandeln und in eine leichter transportierbare Form überführen.«
    »Was soll das heißen: behandeln? Meinst du auflösen in Schwefelsäure wie in diesem Film … wie hieß er noch …«
    »Trio Infernal, glaube ich. Mit Michel Piccoli. War der reine Blödsinn. Der hantiert dort mit den Glasballons rum, als wär das gar nichts … die Trottel haben nicht gewusst, dass Schwefelsäure fast doppelt so schwer ist wie Wasser. So ein Behälter hätte locker fünfzig Kilo gewogen …«
    »Darauf kommt es doch nicht an. Es ist ein Film, da geht es um die Kunst der Darstellung, die Schilderung der Zeit, die Charaktere …«
    »Quatsch! Du redest reinen, unverdünnten Quatsch! Kunstkacke! Daran krankt ja das Kino, dass man sagt, darauf kommt’s nicht an. Solche Fehler zerstören die ganze Illusion. Und darauf kommt es an!«
    »Na ja, du kennst dich damit eben aus, aber für die meisten Zuschauer ist das doch gehupft wie gesprungen, ob jetzt der Piccoli mit richtiger Schwefelsäure

Weitere Kostenlose Bücher