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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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rumhantiert oder …«
    »Es geht ja noch weiter: Die Säure macht aus den Körpern eine rote Brühe. Ich meine, so ein Film kostet Millionen, aber keiner kommt auf die Idee, vorher ein Stückchen Gulasch in einen Viertelliter Schwefelsäure für zwei Franc zu legen und zu schauen, was passiert …«
    »Was passiert denn?«
    »Es wird schwarz!« Dr. Nowak schrie fast. »Verstehst du? Schwarz! Nicht rot! Die Säure entzieht dem Gewebe das Wasser, zurück bleibt der Kohlenstoff. Und der ist schwarz.«
    »Das hätte doch niemand verstanden, Romuald. Die Leute erwarten bei so einer Aktion etwas Rotes, ganz gleich, was wirklich passiert – es hätte gar keinen Zweck gehabt, das vorher auszuprobieren mit Gulasch, das Ergebnis stand von vornherein fest: Es muss eine Badewanne voll roter Suppe sein, richtig gruselig, die Rezeptionshaltung des Publikums erfordert das.«
    »Danke, Herr Professor, für Ihre lichtvollen Ausführungen. Man sollte eben immer einen Fachmann dabeihaben. Einen für Ästhetik. Aber wir sind nicht im Film, okay? Wir sind in der wirklichen Welt. Und haben eine wirkliche Leiche am Hals. Sollen wir sie in Schwefelsäure auflösen? Deine Großmutter? Abgesehen davon, dass ich im Moment nicht wüsste, woher ich jetzt auf die Schnelle ein paar hundert Liter Schwefelsäure …«
    Manfredo Gonzales Leupold brach in Tränen aus; es gab keine Vorwarnung. Es kullerte nur so über die Wangen. Er schluchzte, tastete nach einem Stuhl, setzte sich. Dr. Nowak war der Auftritt unangenehm. Wie viele Naturwissenschaftler konnte er nicht gut mit Gefühlen umgehen, nicht mit den eigenen, aber mit denen anderer schon gar nicht. Das war auch der tiefere Grund der Scheidung gewesen, jedenfalls blieb ihm das im Gedächtnis haften, was ihm die gewesene Frau Nowak oft und mit der Zeit auch immer lauter zum Vorwurf gemacht hatte; Unfähigkeit, Gefühle auszudrücken und/oder bei anderen zu bemerken und/oder zu verstehen und so weiter.
    Ein Gefühl elementarer Art riss ihn aus seinen Gedanken. Etwas Weiches berührte seinen rechten Knöchel, etwas Geschmeidiges, Lebendiges. Eine große, weiße Katze strich ihm um die Beine, ging dann auf Manfredo zu.
    »Sami!«, rief der, bückte sich, nahm die Katze auf den Schoß, hob sie hoch, vergrub das Gesicht im Fell. Danach ließ sich Sami im Arm halten, beobachtete Dr. Nowak aus halb geschlossen Augen.
    »Er mag dich«, sagte Manfredo. »Er geht fremden Leuten sonstnicht zu. Das ist eine Auszeichnung, weißt du. Er sieht gleich, dass du ein guter Mensch bist …« Neue Tränen rannen.
    »Ich bin kein guter Mensch«, sagte Dr. Nowak, der an einem Kloß im Hals würgte. »Glaube ich nicht. Ich bin nur Realist.« Er wischte sich mit dem Taschentuch den Schweiß von der Riesenstirn. Er fasste sich. »Ich könnte versuchen, mit der Pumpe das Wasser zu entziehen, dazu müsste man nur eine Art Vakuumkammer bauen, eine Art Zylinder – in so einem Haus gibt es doch sicher einen alten Badeofen?«
    »Und dann?« Manfredo schneuzte sich geräuschvoll, was Sami aufblicken und die Ohren zurücklegen ließ. Die Katze mag keine lauten Geräusche, dachte Dr. Nowak. Sami. Was war das überhaupt für ein Name? Katze oder Kater? Das Tier blickte ihn mit großen Augen an. Jetzt hatte er den Faden verloren. Die Katze (der Kater) irritierte ihn.
    »Ist das eine Katze?«, fragte er.
    »Nein, ein kleiner Dinosaurier mit Fell, sieht man doch …« Manfredo schneuzte sich.
    »Ich meinte eigentlich, Männchen oder Weibchen …«
    »Sami ist ein Kater.« Dr. Nowak kam sich dumm vor. Er spürte eine gewisse Erschöpfung. »Wir sollten erst einmal was trinken«, sagte er.
    »Im Schrank ist Kognak.«
    »Ich find hier keinen Kognak …«
    »Dann hat ihn die Oma ausgetrunken.« Manfredo begann wieder zu schluchzen.
    Dr. Nowak beeilte sich mit der Versicherung, vorhanden sei eine Flasche mit sechzigprozentigem Alkohol. »Wenn der nicht vergällt ist …«
    »Höchstens mit Benzin …«
    Dr. Nowak zog den Schliffstopfen. »Benzin riecht man deutlich«, erklärte er. »Man muss sich schon ein bisschen überwinden. Am besten geht es mit Cola – im Anorganischen Praktikumhaben wir das immer so gemacht. Von allen Chemikalien war der vergällte Alkohol immer gleich aus.« Er schenkte zwei Hundert-Milliliter-Bechergläser voll. »Der hier ist astrein, keine Spur von Benzin.« Sie stießen an. Sami legte die Ohren zurück.
    »Der Kater missbilligt unser Tun«, sagte Dr. Nowak.
    »Er würde nie so tief sinken,

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