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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Bedeutung. Für die Gesundheit.
    Dr. Nowak atmete schneller. Immer, wenn er in seinem Tagtraum an dieser Stelle angekommen war, stieg der Blutdruck, das Adrenalin schoss durch die Gefäße, der Kopf wurde hochrot, ihm selber schwindlig, er musste sich dann irgendwo festhalten, an der Labortischkante passenderweise. Die Implikationen … die Gesundheit der … der Menschheit. Der ganzen Menschheit. Der Gedanke überwältigte ihn, der bloße Gedanke war gleichsam zu riesig für einen Menschenkopf. Viele, viele Millionen mit neuer Hoffnung.
    Es war nicht unmöglich. Es war sogar wahrscheinlich. Dass alle entarteten Zellen ein bestimmtes Merkmal trugen, eine Eigenheit, ein winziges Detail, unwichtig im Grunde, im Bereich der Junk-DNA, übersehen bis jetzt, aber doch so wichtig, dass man … diese Stelle ausnutzen konnte, nur diese eine Stelle, wenn man dort ein Molekül anhängte, das heißt, anhängen tat es sich von selber. Und dabei irgendein Protein störte, das sich ganz in der Nähe anlagerte, anlagern sollte, um weiß der Geier welche Steuerung anzuwerfen oder zu hemmen – das war dann was für die Mädel und Burschen vom Chemie- Preis. Sollten die das in den Jahren darauf auseinanderklamüsern. Jetzt war wichtig: Das relativ kleine Molekül verhinderte die Anlagerung des großen Proteins. Wie ein Kleinwagen, über die Begrenzungslinie geparkt, eben so weit drüber raus, dass der dicke Monsterjeep daneben eben gerade nicht in die Parklücke passte, der Fahrer wütend weitersuchen musste.
    Wenn das Protein sich dort nicht anlagern konnte, dann passierte etwas anderes, und in der Folge noch etwas anderes, oder sogar mehrere Sachen, was genau, wusste kein Mensch, aber am Schluss – am Schluss starb die Zelle ab. Oder, ja doch,sie wuchs nicht weiter, genau war das noch nicht heraußen; bei dieser Sache kam es auf einen gewissen Optimismus an, ein inneres Feuer. Wer dieses Feuer nicht in sich hatte wie der Idiot Sedlaczek, der konnte das Ziel nicht sehen …
    Ja, das wusste Dr. Nowak auch, dass man diese Idee seit Jahrzehnten verfolgte … und der eine Tumor ist ganz anders als der andere Tumor, und daher kann dies nicht sein und jenes ist unwahrscheinlich, und wir sollten uns doch besser auf realistische Ziele und so weiter … Forschungsgequake. Alles nur Verwalter. Die könnten auch beim Finanzamt sein. Oder in der Sozialversicherung.
    Und ja, Dr. Romuald Nowak hatte sein Wundermolekül noch nicht. Aber er war nah dran, er konnte es praktisch schon riechen. Die Tests an Zellkulturen, die Prof. Nawratil an der Uni Wien durchführte, waren vielversprechend, sie wurden auch immer besser – und jeder mit dem Verstand eines durchschnittlichen Fünfjährigen hätte nicht ausgerechnet an diesem Punkt die Niederlassung aufgelöst, die Leute rausgeschmissen und die Arbeit von zehn Jahren in den Müll geworfen. Aber genau das hatte man in der Zentrale in Rochester getan. Weil man auf biologicals setzte. Große Moleküle, die man von genetisch veränderten Bakterien in Tanks erzeugen ließ. Wie Käse oder Bier. Biologisch . Als ob die Grünen die Chemie usurpiert hätten. Biologicals waren cool. Die neue Phase der Entwicklung. Biologen wurden angestellt, Chemiker entlassen. Chemie nur noch mit der Vorsilbe »Bio«. Alles bei dreißig Grad. Milde. Biologisch halt … nur etwas Gescheites rausgekommen war bisher nicht, und würde auch nicht in Zukunft, davon war Dr. Nowak überzeugt.
    Romuald Nowak war klar, dass man die Sachlage auch anders interpretieren konnte, und darauf hielt er sich viel zugute. Kollegen, die nicht von vornherein als Idioten zu identifizieren waren, beurteilten die bisherigen Ergebnisse viel pessimistischer.Dagegen hatte er nichts; er gehörte nicht zu den bedauernswerten Irren, die sich in eine Idee verrannten und jeden Einwand als neuerlichen Beweis einer finsteren Verschwörung einstuften. Gewisse Dinge musste man in diesem Metier einfach einmal glauben , nur um weitermachen zu können. Sonst verflüchtigte sich die Motivation wie verschütteter Diäthyläther auf dem Fußboden; erst sieht es noch nass aus, aber nach ein paar Minuten ist nichts mehr da. Davor sollte sich hüten, wer irgendetwas erreichen wollte; die Sache selbst, die Natur sorgte von sich aus für die unvermeidlichen Rückschläge und Runterzieher.
    Er sperrte die oberste Schublade auf und holte seine Schätze heraus. Zwei Dutzend Fläschchen, jedes mit weißem Pulver gefüllt und einer zweistelligen Zahl auf dem

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