Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
Vom Netzwerk:
Etikett. Jedes Pulver ein weitläufiger Verwandter eines bestimmten Naturstoffs, bei dem Dr. Nowak ein paar überflüssige Arabesken in der Strukturformel abgeschnitten und dafür ein paar unauffällige Details verändert hatte – entscheidende Veränderungen, bewirkten sie doch etwa eine Vertausendfachung der Wirkung gegenüber der Naturform, die in alten Kräuterbüchern wolkig als »blutreinigend« beschrieben wurde. Besondere Aufmerksamkeit hatte das Kräutlein nie erregt, man hatte es gegen alles und jedes genommen, die Wirkung war eher bescheiden gewesen und hatte auf Autosuggestion beruht – die Krankheit, gegen die das Zeug wirklich geholfen hätte, war eher selten, weil die Leute nicht alt genug wurden, um sie zu kriegen, und vorher an einer der beliebten Infektionen starben. Heute wurden sie aber alt genug. Manchmal dachte Dr. Nowak an die strahlende Zukunft, wenn die Menschen nicht mehr an dieser Krankheit sterben würden, die man nicht nennen soll, weil man sie dadurch herbeiruft – woran würden sie dann sterben? Alle nur an Kreislaufschwäche?
    Draußen rumorte Manfredo herum, er räumte etwas imKeller um. Das tat er, um sich zu beruhigen. Manfredo ist leicht zu durchschauen, dachte Dr. Nowak, ein Künstlertyp halt; das ist doch niemand mit einem düsteren Geheimnis. Denn es würde bei einem wie Manfredo nicht lang Geheimnis bleiben. Diese Überlegung beruhigte nun auch Dr. Nowak; dass Manfredo die Oma erschlagen hatte, war unwahrscheinlich, er hätte sich in dem Fall doch nicht einen Mitwisser in Gestalt eines arbeitslosen Chemikers aufgehalst, sondern die Leiche vorher beseitigt. Außer, er war verrückt. Im klinischen Sinn. Dann war alles möglich.
    Dr. Nowak seufzte tief auf. Er verräumte die Fläschchen wieder in der Schublade. Es nutzte alles nichts. Wenn er weitere Abkömmlinge seines Moleküls herstellen wollte, brauchte er ein Labor wie dieses hier. Und Geld, ziemlich viel Geld. Beides bekam er nur, wenn er ausreichende Mengen 3,4-Methylendioxymethamphetamin herstellte. Und Abkömmlinge davon. Schon wahr: Die Randbedingungen hätten besser sein können. Keine tote Chemielehrerin in der Tiefkühltruhe, kein Erpresserbrief. Aber die Lage war nun einmal so, wie sie war. Was hatten die Randbedingungen mit dem angestrebten Ziel zu tun? Rein gar nichts. Dr. Romuald Nowak fasste einen Entschluss: Er würde dem durchgeknallten Manfredo helfen, mit den anstehenden Problemen fertigzuwerden. Und er würde seine Forschung vorantreiben. Also eine Doppelstrategie verfolgen. Doppelstrategie. Seit ihm dieses Wort eingefallen war, ging es ihm besser. Es hörte sich nach Plan an, wenigstens nach planvollem Handeln, daran konnte man sich mental festhalten.
    Manfredo kam herein.
    »Hast du den Keller aufgeräumt?«, fragte Dr. Nowak.
    »Nein. Ich hab die Oma aus der Truhe genommen.«
    Darauf wusste der Chemiker nichts zu sagen.
    »Wir bringen sie heute Nacht fort«, sagte Manfredo. »Ins Ried. Ich weiß schon einen Platz.«
    »Du willst mitten im Dornbirner Ried ein Loch graben? Auf freiem Feld?«
    »Nein, am Waldrand …«
    »Da gibt es doch kaum Wald. Was ich gesehen habe, sind alles so schmale Streifen an den Bächen.«
    »Was schlägst du dann vor?«
    »Wir fahren nach Feldkirch. In die Nofler Au. Oder in die Gisinger Au. Das sind geschlossene Waldgebiete.«
    Manfredos Miene hellte sich auf. »Das hättest du aber auch früher sagen können – ich war noch nie dort.«
    »Tut mir leid, ich hab nicht dran gedacht, ich hab halt noch andere Sachen im Kopf. Außer Entsorgungs- und Erpressungsproblemen …«
    Manfredo lachte. Das war ein gutes Zeichen. Es war wieder mit ihm zu rechnen. Sie würden jetzt diese leidige Geschichte über die Bühne bringen, einfach so, zack, zack, ohne Wenn und Aber. Ohne einerseits und andererseits. Der Terrorismus der Tat oder wie das hieß. Dieses ewige Nachdenken und Planen brachte nicht halb so viel, wie man sich dabei einbildete. Ja, natürlich konnte alles Mögliche passieren. Die Polizei konnte sie anhalten. Keine Frage, das lag im Bereich des Möglichen. Wie oft war er kontrolliert worden?
    »Woran denkst du schon wieder?« Manfredo klang gereizt.
    »Wie oft mich die Polizei angehalten hat …«
    »In welcher Zeit?«
    »Solang ich Auto fahre, also … warte … sechsunddreißig Jahre.«
    »Lass mich raten: zwanzig Mal?«
    »Drei Mal.«
    Manfredo lachte so laut auf, als habe er einen unwiderstehlichen Witz gehört. »Du willst mich beruhigen, stimmt’s? Ich soll

Weitere Kostenlose Bücher