Das unsagbar Gute
Diesen kaum vernehmbaren Laut hörte dennoch Dr. Nowak, der im Nebenraum das Infrarotspektrometer kalibrierte. Er kam herüber.
»Geht es dir nicht gut?«, fragte er von der Tür her. Näher kam er nicht. Manfredo deutete auf den offenen Safe. Nun wagte Dr. Nowak ein paar weitere Schritte; Manfredos Zustand hatte wohl doch externe Gründe, obwohl es so aussah, als hätte der von seinen eigenen Pillen ein paar zu viel genommen, die waren nicht ohne. Da konnte heulendes Elend ohne Vorwarnung in Tobsucht umschlagen.
»Da seh ich nur Papiere«, sagte Dr. Nowak.
»Eben.« Manfredo war kaum zu verstehen. Nowak begriff. »Das ist unangenehm«, sagte er.
Manfredo musste lachen. »Die Untertreibung des Jahres! Punkt eins: Ich bin pleite. Punkt zwei: Jemand hat das Geld gestohlen. Und Punkt drei: Vorher hat er noch die Oma umgebracht! Verstehst du: umgebracht!« Er schrie jetzt. Dr. Nowak stieß ihm die Schuhspitze in die Rippen. Manfredo stöhnte auf.
»Punkt vier«, sagte Dr. Nowak, »wird gleich noch einer umgebracht, und zwar du, wenn du nicht sofort mit der Heulerei aufhörst.« In seiner leisen Stimme lag etwas Kaltes und Schweres. Manfredo zog es vor zu schweigen. »Erpresst werden wir auch«, sagte er nach einer Weile und zeigte dem Chemiker den Zettel.
»Na schön«, sagte der.
»Na schön? Weiter fällt dir nichts ein?«
»Reiß dich gefälligst zusammen, ja?« Dann begann er auf und ab zu gehen. »Die werden sich halt gedulden müssen, die Herren Erpresser. Zunächst müssen wir ein bisschen Geld verdienen.«
»Aber ich hab doch nichts …«
»Quatsch! Es ist genug Material für ein paar Chargen da.Also keine Rede von wegen pleite. Ich mach das Zeug und du verkaufst es wie geplant. Davon gehen wir nicht ab.« Er warf Manfredo einen Blick zu, als erwarte er Widerspruch, aber Manfredo schwieg. Dr. Nowak setzte die Wanderung zwischen den Marmeladeglasregalen fort. »Das Materielle ist also gesichert, das wollen wir festhalten, das ist das Wichtigste. Was nun die anderen von dir angesprochenen Punkte angeht, so werden wir die einen nach dem anderen abarbeiten. Immer schön der Reihe nach.«
»Wie denn?«
»Das wird sich noch herausstellen. Bei der Erpressung können wir einfach warten, was sich tut, die müssen sich ja melden. Bleibt noch die Sache mit dem Raubmord. Das wird schwieriger, ist aber aussichtsreich.«
»Warum?«
»Derjenige wird sich noch einmal blicken lassen, wart’s nur ab! Das ist die menschliche Neugier. Und die Gier …«
»Warum sollte er?«
»Das ist doch ein Hiesiger, oder? Es gibt keine Einbruchspuren. Also hat sie ihn hereingelassen oder er hatte sonst Ortskenntnis; wann welche Tür offen ist und so weiter …«
»Du hast sicher recht, aber wie kommst du drauf, dass er …?«
»Er hat nichts in der Zeitung gelesen von seiner Tat. Aber vielleicht im SPAR gehört, dass die Frau Doktor nach Spanien verreist ist. Du hast es ja penetrant genug herumerzählt. Das muss ihn heftig wundern, wo er ihr doch den Schädel eingeschlagen hat. Als einzige Erklärung, warum du den Tod der Großmutter verheimlichst, wird ihm einfallen, dass du etwas ganz Großes deckst, eine Riesensache, wo Polizei absolut unerwünscht ist. Wo noch viel mehr Geld drinsteckt. Und dieses Geld wird ihn anlocken.«
»Und dann?«
»Wird er hierherkommen. Wohin sonst? Das Haus ist sein einziger Bezugspunkt.«
»Na schön. Er kommt her, bricht ein, was weiß ich … was unternehmen wir dagegen? Wie bereiten wir uns vor?«
»Alarmanlagen, Kameras, das ganze Programm halt. Ich sagte aussichtsreich , nicht einfach . Ein bisschen was müssen wir schon dazutun. Der Vorteil ist eben, dass er von selber kommt. Wir müssen ihn nicht aufspüren wie die Polizei. Dazu haben wir weder die Mittel noch die Zeit.«
»Und wenn er nicht kommt?«
Dr. Nowak blieb stehen und breitete die Arme aus. »Dann haben wir Pech gehabt. Oder Glück. Kommt drauf an, wie man das sieht. Der Mord an deiner Frau Großmutter bleibt dann ungesühnt. Andererseits ersparen wir uns auch die Durchführung dieser … wie soll ich sagen … dieser Sühne.«
Manfredo hatte sich beruhigt. Er stand auf und klopfte sich den Kellerstaub von den Hosenbeinen. »Du hast ja so recht«, sagte er. »Was täte ich ohne dich?« Es war, wie häufig bei Manfredo, nicht klar, ob er das ernst meinte, aber an der mitschwingenden Ironie in seinen Worten erkannte Dr. Nowak, dass sein Kompagnon die Krise überwunden hatte.
»Jedenfalls muss die Oma aus dem
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